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Er darf Leben


Irgendwo in Deutschland, soviel ist sicher, ist vor einigen Momenten ein junger Mensch gestorben. »Er« war eine Frau. Mehr ist uns auch nicht bekannt, soll jedenfalls nicht weiter Beachtung finden. Sie hatte einen Unfall, irgendwo auf einer Straße. Irgendwo in einer Region, in welcher sie akut versorgt werden konnte.

Die Eltern, sie bangten einige Stunden um das Leben ihrer Tochter. Vielleicht saß auch der Freund, der Ehemann mit im sterilen Wartezimmer des städtischen Krankenhauses in W. Ging dort, wo die Ärzte nicht mehr direkt für das Leben kämpften, sondern sich nur noch um den Erhalt desselben bemühten, hoffend auf und ab.

Der Regen klopfte an die Fenster des Besucherraumes der Intensivstation, als der Arzt eintrat. Er teilte die Nachricht vom Tod der Tochter, Ehefrau, Mutter mit.


Eine Gruppe von Menschen steht vor einer gesellschaftlich, existentiellen Krise. Bei uns ist das Sterben seit langem schon in Heime, in die Körper alter Menschen abgeschoben worden. Ist doch heute in der langsam dahinschleichenden Gestalt des AIDS- oder Krebskranken beheimatet. Aber nicht hier, in der Blüte des Lebens. »Sie kann doch nichts dafür. Sie ist ein anständiger Mensch« -  gewesen.

Die Gruppe steht mitbeteiligt vor der Machtlosigkeit der heutigen Medizin, die doch noch irgendwie nicht ganz an ihrem Ende ist. Der Arzt hat noch einen Wunsch, ein Anliegen. Es ist für ihn nicht leicht. Jedesmal ist der Moment wieder schwierig, liegt das Problem eben im Finden des Richtigen. Beginnt schon mit der Formulierung. Doch dann ist es raus. Ganz schnell, einfach.

»Ihre Tochter ist tot, zwei Kollegen haben es unabhängig von mir bestätigt. Wir könnten aber noch ihre Organe spenden. Es gibt viele Menschen, denen es das Leben rettet. Menschen, wie ihre Tochter«.

Die Angehörigen wissen nicht so recht. Organspende war nie ein richtiges Thema. »Wir haben das zwar mal so im Fernsehen gesehen, so was, aber doch nie geglaubt, daß es uns..., Sie verstehen, so als »Spender«, mal treffen könnte«. Die Mutter der jungen Frau entscheidet rasch.»Sie dürfen die Organe nehmen. Aber dann ist gut«. Sie will die Tochter normal begraben wissen. In einem ordentlichen Zustand.

Kein leichter Entschluß für eine Familie. Ein Organspendeausweiß ist hier hilfreich. Er erleichtert das Gespräch. Hilft den Angehörigen. Wer weiß, was die Zukunft noch bringt, wenn das Leber-Nieren-Thema wieder auf den Tisch kommt. Doch das ist zum Teil Vergangenheit, zum anderen nicht mehr unsere Welt.


Ein Styropor-Karton steht etwas später auf unserer Station. Gefüllt mit Eis und einer Niere, im Plastikbeutel schwimmend. Der Patient ist unterrichtet. Kommt in den nächsten Stunden. Für ihn ist es Aufregung, ein Moment der Angst. Oft wurde alles in der Familie durchgekaut. »Also der Henning, der fährt dich. Wenn er nicht da ist, dann Frauke. Und wenn alle Stricke reißen, nehmen wir uns ein Taxi«.

Alles hat geklappt. Der Mann kommt im Taxi. Eine Stunde später als geplant. Stau auf der A 40. Wie immer. »Ist das Organ noch da«? - Sicher ist sie noch da. Die Niere hat ja nur auf IHN gewartet.

Zwei Stunden später wird ein Bett in den Fahrstuhl der Klinik geschoben. Eine Ehefrau gibt einen Abschiedskuß auf die Wange. Es wirkt etwas gestellt, fast lächerlich. Hier ist kein Platz für so etwas.
Niere? Neu? - Routine! OP-Schleuse.

Machen sie es gut, Herr T. In zwei bis drei Stunden sind sie wieder auf der Station. Sicher. Ist doch heute nichts Großes mehr. Für ihn anscheinend doch.


Das »neue« Organ ist implantiert. Die Funktion ist bescheiden. Gleich Null also. Der Patient wird am Morgen vom Personal der Klinik gewogen. Er liegt zwei Kilo über dem Trockengewicht. Das Kalium ist bei 6,4 mg/dl.

Besorgte Blicke des Patienten und der Angehörigen. »Wir dachten, es hat nun ein Ende mit der Dialyse. Hat die Operation denn nicht geklappt?« Beruhigende Worte: »... das ist normal. Die zweite Niere, die vom gleichen Spender, sie arbeitet auch noch nicht richtig. So ist das halt. Mal geht es sofort, mal dauert es ein paar Tage, etwas länger,..., machen sie sich darüber aber keine Gedanken. - Sie müssen noch ihr Sandimmun(R einnehmen«. Immunsuppressiva. Ja, für Ihr restliches Leben sind sie nun Medikamentenabhängiger. Aber auch das gibt sich noch.

Alles gibt sich. In der Medizin ist halt nichts gleich. Jeder ist irgendwie anders. Wir sind hier ja kein Ersatzteillager, in dem Nieren, Lebern, Pankreas-Drüsen oder anderes wie auf dem Nachschubweg bereitzustellendes Material gehandelt werden.


Es ist halt eine Organspende. Ist ein Teil eines anderen Menschen, der gestern in W. gestorben ist. Leichenteile halt. Oder Organe die noch leben dürfen.

Eine schmale Gradwanderung beginnt. Nicht für uns, nein, für die Menschen, die Transplantierten. Geschenk des Himmels oder ein mich verzehrendes Fremdes, das eigentlich auch sterben wollte. Die Zeit wird hier entscheiden. Nicht ein Gott.

 


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© baraka | bernd schach