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Spiegelwelt


Ich schaue in den Spiegel und ich sehe mich. Bin ich es wirklich? Mein Gesicht zuckt  ein wenig. Das meines Gegenüber auch. Gleichzeitig - ich muß es sein. Oder ist er ein genialer Schauspieler? Ich schau ihm in sein Gesicht. Die tiefen, dunklen Augen haben etwas prüfendes an sich. Ich starre auf seine Mundwinkel, halte seine Augen im Blick, hier sieht man als erstes eine Regung, wenn eine zu sehen ist. Ich versuche bei ihm ein Lächeln zu erahnen, aber da ist nur diese Starre, nein, kein lächeln, keine Emotion, ich beobachte immer noch seine Augen, sie wirken irgendwie verkrampft. Ich mache den Anfang, beginne wieder einmal. Ein leichtes Lächeln, wirklich nur einen Hauch. Er folgt. Wir lachen uns an, die Spannung löst sich. Ich drehe ihm den Rücken zu, verlasse den Raum. Ich muß zur Arbeit.

Wenn ich nach Hause komme, dann ist er immer schon da. Einmal, es war sehr spät, da wollte ich ihn nicht mehr sehen, denn er ist immer im Bad, wenn ich auch da bin, und so ging ich in die Küche um mich zu waschen. Ich habe dort mittlerweile eine zweite Zahnbürste, so kann ich oft auf das Bad verzichten. Und wenn ich auf Toilette muß, dann lasse ich das Licht aus. Zwar glaube ich manchmal, aus der trägen Dunkelheit heraus seinen starren Blick im Rücken zu spüren, aber ich lasse ihn, gebe ihm nicht die Freude, Schwäche zu zeigen, mich umzudrehen.

Ich hasse diese Gestalt dort. Sie ist träge, sieht ungepflegt aus und scheint ewig nicht mehr beim Frisör gewesen zu sein. Äußerlichkeiten, sicher, aber wir reden nicht miteinander, schweigen uns immer nur an, keine Gefühle bis ich den Anfang mache. Bis ich die Initiative ergreife, um die Distanz zu überbrücken, die zwischen uns ist. Immer muß ich den Anfang machen. Und so bleiben mir nur diese Äußerlichkeiten, die ich bewerten kann.

Früher einmal dachte ich, ja, hoffte ich, daß, wenn ich einmal anfangen würde mit ihm zu reden, ihm von mir etwas erzählen würde - dann meinte ich fälschlich, er würde auftauen. Würde diese Atmosphäre der Frostigkeit schwinden. Aber er folgt immer nur, zeigt keine Eigeninitiative. Ich gehe. In meiner Wohnung möchte ich nicht mehr sein. Nur hin und wieder bin ich hier zum Schlafen, es ist Sommer, so kann ich auf den Plätzen in den Grünanlagen unserer Stadt schlafen. Es ist schön hier draußen. Ich habe einen Akkurasierer gekauft, rasiere mich morgens im Park, trinke einen Kaffee am Kiosk und gehe zur Arbeit. Diese Tage sind wunderbar.

Abends kann ich mich zu ein paar Freunden auf eine Bank am Kiosk setzten. Ich fühle mich hier wohl, bin hier schon mehr zu Hause, als in meiner Wohnung. Wir sitzen gemeinsam auf einer Bank. Sie ist vor Regen und Wind geschützt. Eddi, - sein Name ist sicher erfunden, wir haben hier alle andere Namen, wie bei den Mönchbrüdern  in den Klöstern, - hat sich einen tragbaren Fernseher von einem Freund geborgt, für den Sommer, wie er sagt, mit Batteriebetrieb.
Ich bringe manchmal etwas zu trinken mit. Wir sitzen, trinken und sehen fern. An meinem Geburtstag haben wir Pizza gegessen, der Laden ist gegenüber, sie haben sie uns gebracht, wie nach Hause. Es ist schön, eine Familie zu haben.

Wenn es regnet, schlafe ich bei Kurti. Er hat einmal bei einer Versicherung gearbeitet, spricht nicht gerne darüber. Als es Probleme mit einem guten Kunden gab, mußte einer gehen, er hatte Pech. Wir wohnen in einer alten Laube - ich hätte sie niemals entdeckt. Hier ist es trocken, es gibt kein Bad, nur die Büsche und ein Regenfaß mit Waschwasser. Ich schenke Kurti hin und wieder einen guten Cognac, schließlich kommt er aus einem guten Haus, so ist es eine Art Mitbringsel, ein Geschenk an den Gastgeber. Ich weiß ja, was sich gehört, und Fisch und Gäste fangen nach drei Tagen an zu stinken. Mit dem Cognac geht es gut. So trinken wir abends noch einen kleinen Schluck, bevor wir zu Bett gehen, uns auf den Boden legen.

Aber ER gönnte mir diesen Frieden nicht. Schlich sich langsam auch hier in meine Welt hinein. Plötzlich stand er im Park, nicht mehr hinter Glas, nicht mehr isoliert in seiner Welt, er war da, saß mir gegenüber, saß auf der anderen Seite des Sees. Ich tat anfangs so, als würde ich ihn nicht sehen, spielte den ruhig Schlafenden. Doch dann winkten wir uns zu. Es war eine Reaktion, die sich mir einfach aufdrängte. Ich hatte so getan, als würde ich aufwachen, schaute mich in der Umgebung um und: - ach wer sitzt denn da, hallo, schön, daß du da bist. Hätte ich noch eine Sekunde gewartet, er hätte den Anfang gemacht, er hätte klein bei gegeben und ich wieder meine Wohnung beziehen können. Aber er ist so verdammt hart.

Ich ging zu ihm herüber. Aber als ich die Bank erreichte, war sein Platz leer. Meine Schuld, ich hätte ihm zurufen sollen, daß ich komme, nicht einfach aufstehen und durch die dichte Baumreihe gehen, die uns trennt, aber bei dem Gedanken wieder die Initiative zu ergreifen sträubte sich mein Selbst.

Er hatte sicher gedacht, ich ginge nach Hause, und wenn ich seinen Gedanken nachgegangen wäre, ich bin sicher, ich hätte ihn getroffen. Im Bad hätte er gestanden und auf mich gewartet. Hätte nicht gefragt, wieso ich aufgesprungen sei, und wo ich so lange gewesen wäre, er hätte da einfach gestanden und verbittert geschaut. - Aber diese Freude wollte ich ihm nicht gönnen. Nein, er sollte warten.

Ich mußte ins Rathaus. Ein Angestellter einer Abteilungen, eine zu welcher man nicht gerne geht, wollte mich sprechen. Ich habe keine Probleme damit. Die Leute schauen alle komisch, wenn ich mich durch die gläserne Drehtür schiebe und den Gang zum Sozialamt hinunter schlendere. Sie denken sicher, was will der denn dort?, oder halten mich für einen Mitarbeiter, der verspätet zum Dienst kommt, unrasiert und mit einem verknitterten Hemd.

Am Ende des Flures muß ich in einen Fahrstuhl steigen, das Treppenhaus ist wegen einer Renovierung zur Zeit gesperrt. Ein Mann fährt mit mir. Er ist fremd. Trägt eine ähnliche Jacke wie ich, aber sein Gesicht ist abstoßend. Wir sehen uns in die Augen, er ist nur eine Winzigkeit größer als ich, fast fällt es nicht auf. Wir sehen gemeinsam auf unsere Schuhe, nein, sie sind eigentlich gleich hoch, und dann starren wir uns wieder an. Ich hasse es in diesen Fahrstühlen eingesperrt zu sein, dicht gedrängt zwischen Leuten stehend, mit der Sorge kämpfend, nicht heraus zu können. Und dann sind wir im ersten Stock, ich muß raus hier, »Entschuldigung - ich muß hier raus«, aber er läßt mich nicht.

Ich drehe mich nach Hilfe suchend um, hinter mir ist es leer, niemand, nur ich, nur die offene Tür vom Fahrstuhl, die sich eben wieder schließt. Ich drehe mich zurück zu dem Mann, er ist weg, nur mein Spiegelbild ist noch da. Nächster Halt. Ich renne raus. Ich weiß nicht wo ich bin, ich breche zusammen, falle vor ein Auto. Es ist ein Ende. Ich brauche nichts mehr zu tun. Um mich sammeln sich Menschen, die ich nur durch einen Schleier sehe. Irgendwo muß ein Unfall sein, ich höre in der Ferne das Auf und Ab einer Sirene - hoffentlich habe ich ihn nicht verursacht.

Eine Frau, sie trägt eine schicke, rote Weste und hat nette Augen, beugt sich zu mir nieder. Es ist mir etwas peinlich, ich rieche nach Alkohol, Rick hatte heute doch Geburtstag, aber sie sagt das sei in Ordnung. Sie und ihr Mann fahren mich in einem großen Auto fort. Ja fort, nur weg von hier. Laßt mich nicht allein. Ich schaue mich um. Er ist nicht da. Ich kann hier sogar liegen, so groß ist der Wagen. Ich lächele zu der Frau, sie lächelt zurück. Ich lasse mich fallen. Hier bin ich sicher. Niemand tut mir etwas, alles ist so sauber hier, so schön glänzend. Ich kann mich überall spiegeln.

Durch meinen Körper strömt eine Woge aus Ruhe und Entspannung. Mir wird so warm. So angenehm warm. Die letzten Wochen haben wir alle nur gefroren, aber es war noch schöner auf der Straße zu leben, als bei Vater Glade, ein sehr netter Pfarrer, irgendwie ein Freund von uns. Ich schaue mich noch einmal um. Ich möchte noch einmal diese schönen Augen sehen, bevor ich einschlafe.

Sie steht neben mir, spricht durch ein Fenster gelehnt zum Fahrer. Ich sehe zum Ende des Wagens. »Oh nein« - da steht ER. Steht in der Türe. Ich springe auf. Ich weiß nicht, woher er plötzlich diese Stange hat, aber er will die junge Frau angreifen. Ich habe auch eine Stange. Renne auf ihn zu. Stürze in eine ungeahnte Tiefe, da sind Autos, überall Autos. Ich falle auf eins werde fort geschleudert.

Glas, Blut, spiegelnde Scherben. Ich schaue in einen dieser glänzenden kleinen Ausschnitte neben mir. Dort sind seine Augen. Sie sehen so traurig aus. Dann verschwindet er hinter einem roten Schleier, tritt langsam die Welt zurück, tritt das Leben an meine Seite und reicht mir zum Abschied die Hand. Ich drehe mich um und gehe. Ich bin so leicht. Und da ist ER. Er lächelt. Klopft mir auf die Schulter und sagt: »Komm, laß uns gehen, hier war es nicht schön«.
 



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© baraka | bernd schach