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ZEIT

Du schaust mich an,
Ich schau vorbei.

Ich schau dich an,
Du schaust vorbei.

Du schaust mich an,
Ich schau dich an.

Vorbei ?



Ich möchte so gerne einmal ankommen. Nicht für immer – das ist ein Wort, welches dem menschlichen Denken vorenthalten bleibt – aber für einen Moment. Dann will ich in deinen Armen liegen. Still. Verliebt. Und langsam sinkt mein Herzschlag in den deinen, taucht mein Herz in deins. Und alle fremden Augenblicke, die verstört mein Leben beterachten – und ich das ihre – schließen in der Stille zwischen dir und mir ihre Lieder. Gemeinsam sind wir nur allein – ein kurz gehauchter Moment der endlos in der Ewigkeit verschindet.
 

.... An diese Fremde

Die Stadtbahn hat Verspätung. Erst sind es nur fünf Minuten, dann werden es zehn, bald fünfzehn. In fünf Minuten kommt doch schon die nächste S-Bahn. Doch auch sie bleibt aus. So vergehen halbe Stunden zwischen den eigentlich getakteten zwanzig Minuten zwischen Essen und Köln.

Unruhe in den Gesichtern vieler. Es ist kalt. An den Bahnsteigen ist es zügig und die Menschen stehen immer dichter. Zwischen den Wartenden mischt sich hier und da Biergeruch, ein Freitag, ein Wochenende. Es beginnt mit Verspätung.

Laute Stimmen schimpfen leise. Keine Information, dabei sind wir doch gewohnt dass heute immer gleich ein Extrablatte, eine Sondersendung oder sonst etwas Berichtet. Schweigen aus den Lautsprechern. Dann endlich der Aufruf. »Die S-Bahn – Planmäßige Abfahrt 15:06 Uhr wird in vermutlich 15 Minuten einfahren«. Es ist nun 16:30 Uhr und die Durchsage wirkt wie nackte Ironie. Eine bloßgestellte Situationen, aber eine Regel im Handbuch für Durchsagende verbietet sicher das Lachen. Die Stimme klingt ernst und seriös, als sie nach einer weiteren viertel Stunde die Einfahrt in Zehn Minuten verspricht. Mittlerweile stehen die Fahrgäste von sechs versprochenen Zügen auf dem Bahnsteig. Aber es geschieht nichts. Nichts. Ärger wird geschluckt. Still in den dicken Bauch gefressen. Kein Wunder, dass wir in der Industrienation immer fetter werden. Wenn sich nun wenigstens Menschen gruppieren würden, um lautstark Gospel-Gesänge zu singen, wenn die Bänke zertreten würden um wärmende Feuer zu entzünden oder wenn die Deutsche Bahndirektion – hier müsste man längst auf Verspätungen vorbereitet sein – wenigstens kostenlos Heißgetränke servieren würde, wenn wenigstens etwas geschehen würde. Aber nur die pflichtbewusste Stimme der Durchsage ertönt, vertröstet noch einmal um weitere zehn Minuten. Dumme Trägheit, die nicht an Gelassenheit heran kommt.

Ich setze mich auf eine Bank – der einzige, wenn auch kleine Vorteil, dass sie niemand angezündet hat – und entflamme ein Streichholz. Der Wind spielt mit mir, nimmt die Flamme zu sich, mit sich fort. Ich frage mich jedes mal, wo eigentlich die Flamme bleibt. Beim Fünften Holz habe ich den Wind überlistet. Dieses zarte Flämmchen kann er nicht entreißen, es lebt und brennt den gerollten Tabak – knisternd frisst die Glut die Blätter, Rauch zieht in meinen Mund. Ich atme. Eine Regung der Gelassenheit. Ich hebe mich ab von den Wartenden, die immer wieder auf die eigene Uhr am Handgelenk schauen, so als würden sie hier von der Illusion der Bahnhofzeit befreit.

Ich sitze und schaue dem bunten treiben zu. Verpeste etwas die Luft. Trotz aller Klimagipfel und Emissionsregelungen. Mein kleiner Beitrag zur Katastrophe. Bis sie dahinter kommen, werden wir alle längst baden gegangen sein. In den Nachrichten wurde letztens bekannt gegeben, dass die ersten Inseln – irgendwo bei Australien – in den nächsten Jahren geräumt werden müssten. Durch die Überwärmung steigen die Meere also tatsächlich an. Aber Australien liegt ja weit weg. Wir werden global informiert. Wir denken sicher hinter unseren Vorgärten. Wir haben das Handeln abgegeben.

Nein, ich habe das Interesse an Politik nicht verloren. Aber Politik ist ein Geschäft geworden. Menschen mit Maßanzügen regeln die Regeln, die niemand braucht. Aber sie haben Macht. Und so beugt sich das Leben. Politik hat sich verselbstständigt. Sie bedarf gar nicht mehr dem Volk, dass sie vertritt. Längst könnte eine geeignete Computersimulation alle Debatten und Regelungen besser inszenieren, als die Menschen selber. Die wirtschaftliche Politik vertritt  niemanden mehr. Die Masse – der sie dienen sollte – ist ihr zum Störfaktor geworden. Und so wird Ideenreichtum und alternatives Gedankengut bekämpft. Wo kommt man denn in der Politik hin, wenn plötzlich jemand selbstständig denkt. Das einfach und natürliche Leben ist zu gefährlich. Wir müssen es doch schützen.

»Achtung eine Durchsage an Gleis 12. Die S-Bahn von Essen nach Köln/Hansaring wird in wenigen Minuten einfahren. Planmäßige Abfahrt 15:06 Uhr. Grund der Verspätung war ein Personenschaden«. Eine Frau neben mir reagiert prompt. »So eine Unverschämtheit. Hat sich schon wieder einer vor die Bahn geworfen. Können sich die jungen Leute nicht woanders umbringen«. Der Personenschaden wird zum Aufhänger. Überall richtet Zorn über einen unbekannten Toten. Keine Schweigeminute, kein Aufhorchen, keine Kerzen. Keine Zeit – Unverständnis. Mir wird schlecht. Wir haben uns eine Sprache Angewöhnt, die verharmlost. Personenschaden klinkt wie ein Blechschaden.

Ich möchte Schreien. Die Frau anbrüllen und ihr die Handtasche auf die Gleise werfen. Ich trau mich nicht. Ich schnipse den Cigarrenstummel voll Glut auf die Gleise. Das darf man nicht. Doch am Ende bleiben nur Blätter, die verfaulen. Staub. Sternestaub – der wir alle sind. Ich möchte in das Mikrophon des Bahnhofes brüllen: »Verrücktbleiben bitte - Ins Rechte Licht gestellt! Aus dem Schatten der Anderen herausgetreten! Heraus in den Glanz deiner Mitte – deiner eigenen, ureigenen Welt. Bleibe da. Laut singend und verstell dich nicht mit fremden Felsen. Hinausgetreten aus der Schattenwelt derer, die dich halten. Und bleibe so – verrückt – in deiner Welt«.

Warum begeht ein Mensch denn Selbstmord? Mir fallen Gedanken eines Sterbenden ein. Mein Herz. Mein Herz ist traurig, weil es an der Liebe hängt. Mein Herz mein Herz ist ängstlich. Es wird die Liebe verlieren, es wird das Leben verlieren, es sieht so oft den Tod und weiß, es selber wird aufhören zu schlagen. Es wird den letzten Schlag setzen, die Letzte Welle wird sich durch das Universum von Zellen wallend ergießen und dann in den Kapillaren verlanden. Der Strom des Lebens wird versiegen. Alles erstarrt. Alles fault. Alles geht. Es geht auch der Schmerz. Die Trauer, die Einsamkeit. Und warum hat es dann so lange schlagen müssen? Warum nicht schon gestern aufgehört?

Ich habe versucht Berge zu versetzen, ich bin in die Leere gesprungen, habe die Einsamkeit durchwandert. Ich habe gelitten und gelacht, habe getanzt und bin wieder und wieder gerannt, um dich zu finden. Ich habe nie gerufen, nie geschrieen. Ich bin zu leise. Ich wage nicht meine Stimme zu erheben. Und so versickert alles. Das Rauschen verstummt. Der Lebensfluss verlandet in der endlichen Unendlichkeit der unvorstellbaren Dimensionen des Körpers. Wenn es Energien gibt, warum nicht hier bei mir?

Ich suche Engel, ich suche Gott, ich suche einfach Glück. Ich sehn mich nach Liebe. Und am Ende? Es bleibt nichts als Staub und etwas hartes. Verrotten in der Erde. Und alle Träume mit. Geträumt von Glück, aber nie etwas gefunden. Ich werde nichts vermissen. Alles ist – am Ende, in der letzten Konsequenz – nichts anderes als Einsamkeit. Nie gibt es etwas, was wirklich bleibt, nie ist da etwas, das tatsächlich hält. Die letzten Gedanken kreisen um die Augen. So viele Augen. Hunderte. Tausende. Und alle waren voller Trauer. Hatten irgendwann einmal geweint. Irgendwann auch mal gelacht. Die meisten im Glanz der Liebe gestrahlt. Und doch ist es vergangen.

Alles geht unter. In meinen Träume besuchen mich die tausend Augenblicke. Warum nicht auch die Münder? Warum nicht einmal die leisen Stimmen, die mir Glück wünschen, die mir zuraunen: Mach weiter? Es sind die gebrochen Blicke. Verzerrte Momente von Angst, Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Was bleibt sind Namenlose Worte. Sackgassen der Erinnerung.
 


 

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© baraka | bernd schach