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Zwischen Schneewittchen und Aschenbuddel


Der Aschenbecher versinkt im Schaum des Spülwassers, sinkt hinein in das graue, schmutzige Nass, welches trotz seiner eigenen Verschmutzung immer noch sauber spült. Wenigstens scheint es dem Auge so. Und der Nase. Das Wasser nimmt den letzten Geruch auf, reißt den letzten Hauch fort, der eben noch an dich erinnerte. Deine Zigarettenasche. Wieder alleine. Ich beginne meine Wohnung zu reinigen. Endlich. Die letzten vierzehn traute ich mich nicht zu putzen. Wollte damit halten, was genauso zauberhaft kam wie es verschwand: Dich. Du. Aber Magie kann man nicht bannen, wenigstens nicht, wenn sie lebendig bleiben soll. Meine Küche strahlt nun wieder. Schwiegermütter währen stolz: »Wer seine Küche so reinlich hält, der ist eine gute Partie für unsere Tochter«.

Sie haben nicht mein Bad gesehen. Hier – so lernet ich kürzlich – zeigt sich der wahre Charakter. Was bin ich nur für ein Mensch? Ich pinkele im Stehen und empfinde nichts dabei. Keine Scharm, keine Schuld. Es ist einfach praktisch. Nur etwas die Hose öffnen, nur einfach den Penis heraus hohlen und das war es. Kein Umstand. Frauen sind neidisch. Und ich finde es spritzt kaum. Viel mehr ärgern mich die kleinen Haare im Spülbecken vom Rasieren. Aber das habe ich die letzte Woche auch kaum gemacht.

»Sieht gut aus«, meinte eine ältere Mitarbeiterin. »Ich mag drei Tagebärte«. Ich verschweige, dass ich mich fast neun Tage nicht rasiert habe, verheimliche meine augenblickliche Wasserphobie – es gibt solche Phasen, aber da ertrage ich nicht einmal den Blick in den Spiegel und beim Rasieren ist es praktischer, wenn man sich zusieht. Kurz am Morgen das Duschen, ich habe keine Brille auf der Nase und sehe kaum etwas, abtrocknen und schon ist der Start in den neuen Tag geschehen. Ich verlasse rasch meine Wohnung. Frühstücken in einer dreckigen Küche ist eh nicht mein Fall.

Abends ertrage ich die Unordnung besser. Wenn die künstlichen Lichtquellen nur partiell beleuchten, was sauber ist und die Reflexionen von den weißen Wänden den Rest in Schatten tauchen. Selbst meine Fenster wirken im Mondlicht geputzt. Und ich bin sowieso meist erst nach Zehn Uhr Abends in meiner Wohnung, in meinem Heim. Früher ertrage ich es nicht. Seltsame Mischung - Leben.

Überall steckt noch das »Du«, verbirgt sich noch eine Spur deines Geruches, deiner verlorenen Wärme, die anfangs langsam und dann immer rascher von meiner eigene Atmosphäre überwuchert wurde. Ich falle hinein in mein leeres »Ich« und warte, bis ich müde werde. Meist geschieht dies erst spät, manchmal erst mitten in der Nacht und trotzdem halte ich mich noch etwas wach. Bis es mich selber ankotzt. Bis ich mich beginne zu langweilen und im Spiegel den Blick meines Bildes erwidere. »Du bist das also. Ich finde dich zum Kotzen.« »Dann ändere etwas«. »Ich lasse Wasser in das Waschbecken der Küchenspüle laufen, gebe einen Schuss dieses Ökoreinigers hinzu – mit der reinigenden Kraft frischer Apfelsinen, und in der dritten Welt verhungern die Kinder – beginne den Abwasch.

Die Teller habe ich von meiner Oma geerbt. Gutes Porzellan, mit Goldrand. Sie sind alt. Wurden immer nur an besonderen Tagen hervor geholt, wie sehr sich die Teller an diese Zeiten zurück sehen werden. Heute zerbrechen sie ständig. Anfangs besaß ich über zwanzig, nun sind es nur noch weniger als die Hälfte. Sie sind einfach nicht dafür gemacht, im Backofen als Pizzaauftauuntergrund zu dienen, sie gehören auf weiße Tischdecken – die ich gar nicht besitze. Auch mögen die Teller es nicht, wenn heißer Käse aus einem Brötchen auf sie überquillt. Letztens zersprang dabei einer und alles tropfte zäh – ich war gerade unter der Dusche – auf den Boden des Backofens. Fürchterlicher Gestank.

Ob meine Oma sauer auf mich währe? Der Gedanke kommt, als mein Stahlschwamm wieder etwas mehr von dem Gold abreibt, aber anders bekomme ich das alte Fett nicht ab. Am Ende ist der Teller gewöhnlich, der Glanz vergangener Zeiten ist fort, meine Oma schon lange tot. Aber immerhin, immer wenn ich von den Tellern esse, denke ich an sie. Immer wenn einer zerbricht, bekommeich ein schlechtes Gewissen – Kurz aber intensiv. Und irgendwann werde ich auch Tod sein. Werde ich Kinder haben, die dann von meinen Tellern essen? Die dann meine Messer benutzen? Aus meinen alten Tassen trinken? – den englischen Bechern die meine Eltern nicht mögen, der Rand ist zu breit, es schmeckt nicht. Dabei erzählt jede Tasse eine eigene Geschichte, und nur ich kenne diese.

Loslassen. Das ist es. Wir hier in der Industrienation müssen lernen loszulassen. Abgeben. Doch genau das Gegenteil leben wir. Alles muss immer halten. Womit wir uns eine Langlebigkeit vorgaukeln, wir wollen nicht immer wieder das sich etwas verändert. Von Ewigkeit zu Ewigkeit, wir sind ja Christen. Wir Deutschen sind von zwei Kriegen geprägt, die uns alles nahmen. Beide habe ich nicht unmittelbar mitbekommen, aber doch aufgesogen mit der ranzigen Muttermilch. Scheinbar aber war es nicht konzentriert genug – Flaschenkind, Wohlstandsdenken. Ich bin unachtsam. Mehr noch, ich verachte, was anderen heilig war. Verachte mich, wenn ich etwas beginne schön zu finden.

Was mache ich nun mit der Asche der von dir gerauchten Zigaretten? Warum hast du nur so wenig geraucht? Ich könnte die Reste in ein kleines Tütchen packen und hin und wieder eine Priese davon nehmen. Besser noch: Ich kaufe mit Einmachgläser und sammle dort Gerüche. Ich werde ein Dufträuber. Nehme mir von allen Frauen etwas ihrer zarten Ummantelung und hebe es in Gläsern auf.

Vor ein paar Tagen im Fahrstuhl stieg ich in den Duft von »Kaschmire«. Dieses zarte Parfum  meiner ersten Liebesnächte. Die erste Begegnung mit fremder Haut auf meiner. Schweiß, stöhnen, Lust. Wir hatten Sex, nicht oft, aber es war schön. Es waren meine ersten Gehversuche in fremden Betten – die vergisst man nicht. Und immer wen irgendwo der Duft in der Luft liegt, steigen diese vergilbten  Bilder wieder auf, greifen wieder nach dem, was ich so vermisse.

Der nackte Duft begegnet mir am gleichen Tag noch einmal. Dieses mal zusammen mit einer Person, einem anderen, fremden Menschen und so bleibt kein Raum für mich und meine Erinnerungen. Die Duftträgerin ist alt, verbraucht, krank. Schwer krank. Faltige, fleckige, gelbe Haut, zerfressene Zähne, alte Brüste. Auch schön, aber nicht das, was meine Gedanken in realen Bildern suchen.

Kein Sammeln, kein Aufheben. Der Aschenbecher versinkt. Und mit ihm alles an Erinnerungen. So entsteht neuer Raum, entstehen wieder Freiräume. Genau das, was ich mir wünschte, das, was ich immer wollte. Am Ende bleibt wieder ein flüchtiger Kontakt, bleiben die namenlosen Worte, die leeren Sackgassen der Erinnerung.
 
 


 
 

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© baraka | bernd schach