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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 3


 
 




Nicht hochstellen die Weisen,
Macht das Volk nicht hadern.

Nicht hochschätzen Güter schweren Erwerbs,
Macht das Volk nicht Diebstahl verüben.

Nicht ansehen Begehrbares,
Macht das herz nicht unruhig.

Daher des Heiligen Menschen Regelung:
Er leert sein Herz und füllt sein Inneres,
Schwächt seinen Willen, stärkt sein Gebein.
Immer macht er das Volk nichts kennen, nichts begehren
Und macht, dass die, welche kennen, nicht wagen zu tun.

Tun da Nicht-Tun
Dann gibt es nicht Nicht-Regelung
 



 

Mit diesem Kapitel wird der dritte Bestandteil des Systems, der politische, angekündigt. In China ist der Staat schon sehr früh als die ethische Form des Gemeinschaftslebens erkannt worden, weshalb das Regieren als sittliche Tätigkeit aufgefasst und als ein Teil der Ethik be-handelt wird. Darf man den Staat als den zur Volksgemeinschaft erweiterten idealen Men-schen betrachten, so fehlt dem Gedanken auch die praktische Vermittlung nicht, in dem der altchincsische Staat reiner Patriarchalstaat, mithin nur die erweiterte Familie war, die Familie nur der erweiterte Mensch, und dieser nach ethischem Postulat der ideale ist, welchem Lao-Tses »heiliger Mensch«. entspricht.

Da ihm nun aber das Prinzip der Einheit sowie die Freiheit und Selbständigkeit der Unterta-nen ebenso sehr Postulat ist (Kap. 39, 17), so findet er die Gewährschaft für diese nur in der verzichtenden Selbstbeschränkung der unbedingten Gewalt, deren allein der heilige Mensch fähig ist. Ist dabei hauptsächlich der Herrscher selbst gedacht, so sind doch alle eingeschlos-sen, die berufen sind, mit Rat und Tat in der Regierung mitzuwirken. Ehre und Macht einer-seits, kostbare Besitztümer andererseits sind es, welche die Begierden der Menschen erregen, sie ablocken von der Einfalt, dem Maßhalten und zum Schlimmen verführen. Am besten da-her, das Volk lernt dergleichen gar nicht kennen, und dies soll Verfahren und Beispiel des »heiligen Herrschers« bewirken. Beim ersten Satz ist hinzuzudenken, daß dem Landesfürsten Hoheit und Macht gebühren und daß er zur Regierung sich ausgezeichneter und tüchtiger Männer, der Weisen, bediene. Wenn er nun diese Männer mit Hoheit, Pomp und äußeren Eh-ren bekleidet, so werden sofort die Leidenschaften der anderen entbunden; aus Neid, Miss-gunst, Eifersucht bestreiten sie die Würdigkeit der Erhöhten, machen ihnen ihre Stellung strei-tig, und die Sucht nach Macht und Ehren stiftet überall Zwietracht und Nebenbuhlerei.

Was nur wenige erringen und besitzen können, erregt am meisten die Begier, es zu erlangen, und verleitet die, denen es auf andere Weise unerreichbar bleibt, es sich auf unrechtmäßige Weise anzueignen, im äußersten Fall durch Diebstahl (vgl. Kap. 53). Darum soll der Fürst auf derlei schwer zu erwerbende Kostbarkeiten keinen Wert legen. Die Ausleger verfehlen nicht, zu bemerken, daß der Herrscher seine Reichtümer nicht zu nutzlosem Prunk und Luxus, son-dern zum Besten seiner Untertanen und vor allem, um ihnen die notwendigen Bedürfnisse zu verschaffen, anwende; da durch verstopfe er die Quelle von Dieberei und Raub.

Wer ansieht, was begehrt werden kann, dem wird das eigene Herz unruhig, aufgeregt, ver-wirrt, er sei Fürst oder gehöre zum Volk. Wer dagegen nicht ansieht (Ehren, Reichtümer) was die Begierde erregen kann, dessen Herz gerät nicht in Unordnung; weshalb auch hierin der Regierende dem Volk als Vorbild vorangehen soll.

Daher leert der heilige Mensch, wenn er regiert und regelt, sein Herz von allen Begierden, die es beunruhigen könnten, macht es rein und frei von Leidenschaften, Wünschen, von aller An-hänglichkeit an äußerliche, weltliche Dinge. Dagegen füllt er sein Inneres (w.: Bauch), d.h. er zieht sich in sich selbst zurück (s. Kap. 10), und, äußere Guter verschmähend, sammelt er in-nere, füllt seinen inwendigen Menschen mit geistigen Schätzen. Er schwächt seinen Willen, nimmt dem nach außen gerichteten Streben und Trachten die treibende Kraft und tilgt damit die Wurzel der schädlichen, eigene und fremde Kräfte verzehrenden Viel- und Großtätigkeit. Dagegen stärkt er seine Knochen, sein Gebein, wobei vorwiegend an innere Festigkeit und Aufrichtigkeit, also an Charakterfestigkeit und Rückgrat zu denken ist.

Ist der heilige Regent so beschaffen, so wird er beständig wirken, dass das Volk weder kennt noch begehrt, was Hader, Diebesgelüste und Herzensunruhe erregt. Kann er hinsichtlich des-sen, was die Begierden aufregt, nicht jedermann in Unkenntnis und dadurch in der Einfalt der Unschuld ohne Begehrlichkeit erhalten (ignoti nulla cupido), so wird er doch »die, welche kennen« durch sein eigenes negatives Verhalten und vermöge der Autorität seines Vorbilds zurückhalten, vom Begehren zur Tat fortzuschreiten und also bewirken, daß sie »nicht wagen zu tun«.

Dieses negative Verhalten wird in die Worte zusammengefasst: »wei wu wei« (tun Nicht-Tun), sein Tun ist ohne Tun, er tut das Nicht-Tun, womit an den ethischen Satz des vorigen Kapitels angeknüpft wird, und zwar dort wie hier in paradoxem Ausdruck. So wirkt der ideale Herrscher lediglich als sittliche Potenz und führt hierdurch sittlich geordnete, freie, friedliche Zustände und damit Glück, Wohlstand und Zufriedenheit herbei. Verhält er sich daher so, »tut er das Nicht-Tun«, »dann ist nicht nicht-geregelt«, dann gibt es keine Regierungslosigkeit, keine Unordnung; denn alles ist so wohl geregelt.

 
 


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