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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 5


 
 




Himmel und Erde haben keine Menschenliebe;
Sie nehmen alle Wesen für einen Heu-hund.

Der heilige Mensch hat keine Menschenliebe;
Er nimmt das Volk für einen Heu-hund.

Was zwischen Himmel und Erde,
Wie gleicht es dem Blasebalg!

Er ist leer und doch unerschöpflich;
Er regt sich, und um so mehr geht heraus.

»Viele Worte meist in  nichts verrinnen;
Weit besser, man bewahrt sie innen.«
 



 
 

Einige Ausleger erklären »Menschenliebe, Menschlichkeit, Menschengefühl, Wohlwollen, Mitleid« (jen) hier durch »Vorliebe besonderer Zuneigung«, die sich also nur auf einzelne er-streckt, und lassen Lao Tse sagen, Himmel und Erde und so auch der Heilige zögen niemand vor und behandeln alle gleich güti. Andere sagen, »nicht menschenliebend« (pu jen) bedeute, keine Menschenliebe zeigen, obwohl sie das Motiv sei. Allein, beide mal paßt dann das Gleichnis nicht. Beim Opfern stellte man einen aus Heu gemachten Hund vor den Altar, um Unglück abzuwehren, verzierte ihn hierbei mit allerlei kostbaren Schmuck, den man nach dem Opfer wieder ab nahm, und warf ihn dann auf die Straße, wo er zertreten wurde.

Als was sieht man nun den Heu-Hund an? Doch nicht als Gegenstand des Mitgefühls oder Wohlwollens, sondern als etwas Gleichgültiges, das man um des Höheren, nämlich um des Opfers willen ausschmückt, nicht aber um seinem Gefühl gegen dasselbe genug zu tun. Sagt demnach das erläuternde Gleichnis, daß Himmel und Erde alle Wesen nicht uns des teilneh-menden Gefühls, sondern um eines höheren Willen mit Schmuck und Gaben überhäufen, so kann »Menschenliebe« weder Vorliebe für einzelne bedeuten, noch kann es das eigentliche Motiv sein. Und was ist ihr Motive? Tao. Denn Tao ist ihr Richtmass und Vorbild (s. Kap. 25).

Auch der heilige Mensch handelt nicht aus bloßer mitleidiger Gefühlsregung; in dieser Hin-sicht achtet auch er das Volk (w.: »die hundert Namen, Geschlechter oder Familien«) für ei-nen Hcu-Hund. Nicht, als ob er diese Menschenliebe nicht hätte, aber nicht ihn macht die Menschen liebe gut, sondern er macht die Menschenliebe gut; denn er hat mehr als sie: er hat die selbstlose Güte (Kap. 8), welche Lao-Tse Tugend nennt, welche ihn Tao annähert, noch mehr, er hat Tao (yu Tao). Denn so stuft es Lao-Tse ab: Tao verloren, dann hat man Tugend; Tugend verloren, dann hat man Menschenliebe (Kap. 38) und ähnlich (Kap. 18): Wird das große Tao verlassen, so gibt es Menschenliebe und Gerechtigkeit.

Lao-Tse wusste, wie wenig an jener Menschenliebe ist, die als Gutherzigkeit nicht selten nur Schwäche ist, wenn sie nicht im höchsten sittlichen Grund, im Ewigen wurzelt. Daher seine wiederholte Polemik gegen sie, die Khung-Tse für die höchste Tugend erklärte.

»Was zwischen Himmel und Erde« ist das, was durch das Zusammenwirken beider zwischen ihnen enthalten ist. Die Vergleichung mit dem Blasebalg zeigt, daß dabei dieses Zusammen-wirken, wie das der Wände des Blasebalgs, die Hauptursache ist. Woran nun das, was Him-mel und Erde zwischen sich enthalten, unerschöpflich ist, und was sie daraus hervorgehen las-sen, kann nach dem Zusammenhang nur das sein, was sie – auch ohne Menschenliebe – allen Wesen als Gaben und Schmuck verleihen, alles mithin, was den Geschöpfen gut, nützlich, wohltätig, erfreulich ist, kurz, was ihr Leben fördert, wie der Windstrom des Gebläses die Flamme. Produktiv macht sie in dieser Hinsicht also nicht ein Gefühlantrieb, sondern der aus-fließende Reichtum dessen, was sie aus dem »Leeren« unerschöpflich hervorzubringen vermögen.

Der angeführte Reim, der etwas Sprichwörtliches hat, scheint nicht nur die Unzulänglichkeit der Rede in bezug auf das eben Erwähnte andeuten zu wollen, sondern auch den Grund, wes-halb der Weise überhaupt schweigsam ist. Die segensreiche Erzeugungskraft des Zusammen-wirkens von Himmel und Erde hat etwas so geheimnisvoll Wundersames, dass man bei allem Reden  davon doch ins Stocken gerät und nichts weiter zu sagen weiß. Bei Betrachtung sol-cher Dinge in seinem Inneren tut man besser daran, das Innere festzuhalten, zu bewahren, d.h. nicht zu versuchen, es zu äußern.

 

 
 


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