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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 12


 
 


Die fünf Farben machen
des Menschen Äug' blind,

Die fünf Töne machen
des Menschen Ohr taub,

Die fünf Geschmäcke machen
des Menschen Mund stumpf,

Pferderennen und Feldjagd machen
des Menschen dumpf,

Schätze, schwer erreichbar, machen
des Menschen Wandel krumm.»

Deshalb: «Des Heiligen Tun ist seine Brust,
Nicht Augenlust.»

Darum läßt er jenes und ergreift dieses.
 



 

Die im vorigen Kapitel genannten Gegenstände konnten nur durch ihre Entleertheit ihre Bestimmung erfüllen, so auch der Mensch; und nichts macht ihn unfähiger dazu, als wenn er sein Bewußtsein sein Inneres, mit jenem schlechten Sein, jenem Stoff der Weltlichkeit, mit Sinnengenuß und Sinnenlust, Vergnügen an wildem Treiben und Trachten nach schwer zu erwerbenden Schätzen ausfüllt. Denn das ist der Gegensatz von jener Entleertheit des Inneren, jener Befreiung des Bewußtseins von dem bloßen Sein, wodurch der Mensch eins werden kann mit Tao (Kap. 23). Um das zu zeigen, führt Lao-Tse Denkverse an. Die nachteiligen Folgen für Gesicht, Gehör und Geschmack setzen ein Übermaß des Genusses voraus, durch welches die gesunde Reinheit der Sinnesorgane zerstört wird und die entsprechenden inneren Organe für das Übersinnliche abgestumpft und abgetötet werden.

Die fünf Farben, welche die Chinesen zählen, sind Rot, Gelb, Blau, Weiß, Schwarz; alle anderen gelten ihnen für Modifikationen von jenen. Die fünf Töne der altchinesischen Tonleiter sind Prime, große Sekunde, große Terz, Quinte, große Sexte, z.B. c, d, e, g, a; hiermit deckt sich nebenbei die altschottische Tonleiter. Die fünf Geschmäcke, Geschmacksarten sind salzig, bitter, sauer, beißend und süß. «Stumpf» (w.: irrig), «dumpf» (w.: verrückt), «krumm» (w.: gehindert). Beispiele sinnverwirrenden Treibens und verzehrender Gier werden aufgeführt, die Geist und Gemüt der inneren Ruhe und darum der verständigen Klarheit berauben.

Weil alle sinnliche Lust und Begierde Fremdes, Zerstreuendes, Verwirrendes in den Menschen zu dessen eigener Beschädigung hineinbringt, so meidet sie der heilige Mensch; er beschäftigt sein Inneres (w.: Bauch) und nicht das «Auge», welch letzteres für die Sinne überhaupt genommen ist. Das mehrmals vorkommende Schlußwort besagt, daß der Heilige «jenes», was ihm ferner liegt, meidet und «dieses», was ihm näher liegt, ergreift «Jenes» (Genuß, Gier; Augenlust) und «dieses» (Begierdelosigkeit; Inneres, Brust) sind also nicht nach dem Satzbau aufzufassen.
 
 

 

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