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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 27





Ein guter Wanderer läßt nicht Fußspurmäler,
Ein guter Sprecher macht nicht Redefehler,
Ein guter Rechner braucht nicht Rechenzähler,
Ein guter Schließer braucht nicht Schloß noch Riegel,
und dennoch ist nicht aufzulüpfen,

Ein guter Binder braucht nicht Schling’ noch Knoten,
und dennoch ist nicht aufzuknüpfen.

» Daher:
Der heilige Mensch
ist stets ein guter Helfer der Menschen,
darum verläßt er keinen Menschen,
ist stets ein guter Helfer der Geschöpfe,
darum verläßt er kein Geschöpf.«

Das heißt zweifach leuchten.
Darum ist der gute Mensch des nichtguten Menschen Erzieher,
der nichtgute Mensch des guten Menschen Schatz.

Nicht ehren seinen Erzieher,
nicht lieben seinen Schatz,
ist trotz aller Klugheit große Verblendung.

Das heißt bedeutsam und geistig.
 
 


Zeigte das vorige Kapitel, daß der heilige Mensch, zumal im königlichen Amt, nur durch Ernst, Gleichmut und Ruhe allein Übergewicht und Herrschaft gewinnt und behauptet, so wird nun gesagt, welchen Zweck das habe, den nämlich, daß er sich hilfreich und menschenveredelnd erweise. Denn hierin besteht seine Trefflichkeit und Kunst, darin «ist er gut».

«Gut» drückt sowohl die Fähigkeit wie die Neigung zu einer Handlung aus und hat zugleich eine ethische Bedeutung. Die gebrauchte Wendung dürfte dies ausdrücken. Die zitierten einleitenden Denkreime sind vieldeutig; jedenfalls, wer etwas trefflich tut, begeht weder dabei Unschickliches - denn auf reinlichem Weg Spuren von Fußstapfen zurückzulassen, ist ungeziemend; noch erweist er sich unzulänglich -, denn wer Sprachfehler begeht, ist der Rede nicht mächtig; noch auch bedarf er künstlicher Beihilfe - wie zum Rechnen des Rechenzählers. Vielmehr erreicht er seinen Zweck durch die einfachsten Mittel - wie wer ohne Riegel und Schloß zuschließt, ohne daß geöffnet werden kann; und durch die einfachste Anwendung der Mittel -, wie wer beim Binden die Schnur so zu schürzen weiß, daß andere sie nicht aufknüpfen können, ohne daß er Knoten darin gemacht.

Wie die Angeführten alle je in etwas Besonderem sich auszeichnen und es auf die beste Weise auch gern tun, so der heilige Mensch darin, daß er anderen Menschen beisteht, sie errettet, ihnen hilft; und weil er dies versteht und gern tut, darum verläßt er keinen, stößt keinen zurück.

Diese immer hilfreiche Barmherzigkeit erstreckt sich nicht nur auf die Menschen, sondern auf jedes lebendige Wesen. So geht von ihm doppelt ein herrliches Licht aus.

Der Heilige wird hier der gute Mensch genannt, weil er anderen zu helfen fähig und willig ist, wie auch im Gegensatz zu dem Nichtguten. Weil er dadurch so herrlich doppelt leuchtet, daß es auch anderen vorleuchten und einleuchten muß, «darum» hat er den Beruf, des Nichtguten Erzieher, Führer, Lehrer und Meister zu sein. Dieser wiederum ist des Guten « Schatz », Reichtum, Gut, welches er gebraucht, ihm nützt und hilft, um seinen höchsten Beruf, den der Menschenveredlung, zu erfüllen.

Wird das natürlich gegebene Verhältnis zwischen dem, der zum Leiter und Erzieher anderer geeignet ist, und denen, die seiner Leitung und Erziehung bedürfen, gegenseitig erkannt und anerkannt, so entwickelt sich darin die schönste persönliche Beziehung; emporsteigende Ehrerbietung und herabsteigende Liebe begegnen einander, und dadurch wird der Zweck jenes Verhältnisses gefördert, ja, es beruht darauf seine Erreichung. Deshalb ist es große Verblendung, es an jener Ehrerbietung und Liebe mangeln zu lassen, und die klügste Belehrung und die klügste Aufnahme derselben wiegen diesen Mangel nicht auf.

Daß der heilige, der gute Mensch allen helfend entgegenkommt, sich als Erzieher des ihm dazu unentbehrlichen nichtguten Menschen betrachtet, sich ihm liebevoll zuwendet, und wiederum, daß der noch nicht Gute sich als Zögling des Guten ansieht und ihn als Meister ehrt, das heißt - «bedeutsam », wichtig, erwünscht, von großem Interesse, weil dadurch das Heil des einzelnen wie der ganzen Gemeinschaft erwirkt wird; und «geistig», geheimnisvoll, herrlich, wundersam, weil so der heilsame Zustand aller auf durchaus geistigem Wege herbeigeführt wird.
 
 

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