[Home]  [Einleitung]  [Lao Tse]  [1. Buch ]  [2. Buch ]


Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 31




Auch die schönsten Waffen sind Unglückswerkzeuge,
alle Wesen verabscheuen sie.
Darum, wer Tao hat, führt sie nicht.
Ist der Weise daheim, dann schätzt er die Linke,
braucht er die Waffen, dann schätzt er die Rechte.

Waffen sind Unglückswerkzeuge,
nicht des Weisen Werkzeuge.
Wenn er es nicht vermeiden kann und sie braucht,
sind ihm Frieden und Ruhe doch das Höchste.

Er siegt, aber ungern.
Es gern tun, ist: sich freuen, Menschen zu töten.
Wer sich freut, Menschen zu töten,
kann sein Ziel in der Welt nicht erreichen.

Bei erfreulichen Handlungen bevorzugt man
die Linke,
bei schmerzlichen Handlungen bevorzugt man
die Rechte.

Der Unterfeldherr steht links,
der Oberfeldherr steht rechts,
um anzuzeigen, er stehe wie bei der Leichenfeier.

Wer viele Menschen getötet, beweine sie
mit Trauer und Wehklage.
Wer im Kampfe gesiegt, der stehe wie bei
der Leichenfeier.
 
 



 

Jene schönen Waffen, mit denen sich Fürsten  und Gewaltige schmücken, auf deren Pracht und  Glanz sie halten, die man an ihnen bewundert, sie sind im Grunde doch nur Werkzeuge, die  Unheil verkünden und anrichten. Lebende Wesen, welche sie auch seien, fürchten und hassen sie.  Alle Wesen verabscheuen die Werkzeuge, die ihnen Wunden, Schmerzen und Tod zufügen.  Weil der, welcher «Tao hat» (yu Tao), ihm auch darin ähnlich ist, daß er alle Wesen liebt und erhält, darum braucht er die Werkzeuge ihrer Leiden nicht.

«Der Weise», ursprünglich Fürstensohn, Edelmann, heißt im allgemeinen Sinn der ausgezeichnete, edle, sanftmütige, höhere Mensch. Die Linke Hand ist die schwächere, die rechte die stärkere, und wir kennen bereits die Lehre, wonach in der Schwäche, d. h. in der Milde und Nachgiebigkeit, die Stärke des Weisen besteht. Ist er in Ruhe daheim, so kann er sie üben. Braucht er die Waffen, so ist er genötigt, die Stärke der Rechten anzuwenden. Da die chinesische Volkssitte bei glücklichen Anlässen die linke, bei unglücklichen die rechte Seite bevorzugt, schätzt der Weise bei Waffengebrauch auch die Rechte, weil er dabei mit unheilbringendem Gerät zu tun hat. Das aber ist es nicht, was der Weise als solcher handhabt. Kann er es nicht vermeiden (Kapitel 30), so macht er zwar auch Gebrauch von den Waffen; aber ihm gelten Ruhe und Frieden, für ihn und für andere, höher als alle Waffenerfolge.

Selbst der Sieg ist dem Weisen nicht angenehm, nicht lieb (schön), da er durch Blutvergießen erkauft werden muß. Kriegslust und Siegeslust sind untrennbar von der Lust am Blutvergießen, an Menschentötung, und wer diese beweist, kann seine Absichten in bezug auf das Reich, oder allgemein sein Ziel in der Welt, nicht erreichen. Er wird nichts durchführen können, da jene Eigenschaft ihm die Gemüter entfremdet und sein eigenes Verfahren gegen ihn kehrt (Kapitel 30).

Hier erwähnt Lao-Tse die Volkssitte, wonach günstige, glückliche, erfreuliche Verrichtungen, wie z. B. Hochzeiten, die linke Seite, ungünstige, unheilvolle, schmerzliche die rechte Seite bevorzugen (erhöhen, auszeichnen); so auch die Sitte, daß der Unteranführer eines Heeres sich links, der oberste Befehlshaber sich rechts aufstellte, der leitende und verantwortliche Kriegsführer also wie bei schmerzlichen Handlungen, wie bei einer Trauerfeierlichkeit stand. Damit hat man schon im voraus das Richtige getroffen; denn schon die Absicht, Blut zu vergießen und Menschen zu töten, sei zu betrauern.

Sei es nun aber geschehen, habe der Feldherr gesiegt und eine große Menschenmenge getötet, so soll er sie nun auch wie bei einem wirklichen Leichenbegängnis voll Betrübnis und Mitleid beweinen. Denn wahre Menschlichkeit läßt die Lust am Sieg vor dem Schmerz nicht aufkommen, daß man so vielen habe Jammer und Tod bereiten müssen. Damit der Sieger nach unvermeidlichem und gerechtem Kampfe aber nicht vergesse, seine blutigen Taten zu betrauern, soll er auch dann zur Rechten wie bei einer Trauerfeier stehen.

Wer jedoch nicht aus Unvermeidlichkeit, sondern aus Eigennutz, Übermut und Machterweiterungsgelüsten die Waffen ergreift, dann als Sieger sich in Triumphen brüstet, die Besiegten vergewaltigt und so ein Reich machen und nehmen will, der findet wegen seines taolosen Verhaltens bald ein Ende (siehe Kapitel 30).
 
 

[Home]  [Einleitung]  [Lao Tse]  [1. Buch ]  [2. Buch



© baraka