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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 40



Rückkehr ist Taos Bewegnis,
Schwachsein ist Taos Gepflegnis.»

Alle Wesen entstehen aus dem Sein,
Das Sein entsteht aus dem Nichtsein.
 



 
 

Das 38. Kapitel zeigte, daß der Verlust Taos, des Bandes der Einheit, die niedersteigende Zersetzung des Sittlichen zur Folge hat, und Kapitel 39 wies die Bedeutung der das Wesen setzenden und erhaltenden Einheit nach. Tao ist der Ursprung aller Wesen, und wenn sie in Blüte gestanden, kehrt jedes wieder zurück zu seinem Ursprung. Diese in dem Vers zitierte Rückkehr ist das Wirken, das tunlose Tun des Unbewegten, das alles bewegt, Taos Bewegnis oder Bewegen.

Zuerst waren die Wesen nicht etwa gar nicht, sie waren nur noch nicht an sich, sondern «Bild in Tao»  (Kapitel 21), Seinkönnendes. Entwicklung des We-sens ist aber Überwindung des bloßen Seins; indem es sich aus dem bloßen Sein, d. h. aus dem ihm äußerlichen, von ihm nur an- und aufgenommenen, bewegt, löst und befreit, kann ihm das gewonnene Ansichsein nicht wieder verloren gehen; denn dieses ist ihm als Wesen zugefallen, und als entfaltetes Wesen, als evolvierte Substanz geht es dahin zurück, von wo es ausgegangen war, in seinen Grund und Ursprung, in Tao. So ist denn die Hinausbewegung in das Leben bereits Anfang der Hinausbewegung aus dem Leben, der Zurückbewegung in Tao. Dieser Verlauf geht aber nicht ursächlich von den Wesen selbst aus; Tao vielmehr, gerade indem es die Wesen erschafft, nährt, entwickelt, vollendet, wirkt eben dadurch ihre Rückbewegung zu ihm. Und so ist denn «Rückkehren Taos Bewegen».

Dabei gebraucht es aber nicht Kraft und Gewalt, sondern «Schwachsein ist Taos Gepflegnis», sein Verfahren, Anwenden, Gebrauch. Es ist, als ob es nicht einmal dabei wäre, als ob es eine reine Selbstbewegung der Wesen wäre, während doch der ganze Prozeß eben die Einheit eigener Zurückbewegung und Taos selbständigen Zurückbringens ist. Da sein höchster Wille sich selbst den Wesen als ihr Lebensgesetz und als dessen Konsequenzen ein-gegeben hat, so kann er ihnen in dieser Beziehung nicht als Macht gegenübertreten. Sie selbst vollziehen unbewußt, aber auch ungezwungen und mit dem Gefühl selbständiger Freiheit die Konsequenzen des ihnen innewohnenden Gesetzes, das doch nur der konstante Wille des mit demselben sie lebendig durchwaltenden Tao ist, das dabei «schwach sein» kann.

«Alle Wesen entstehen » oder «werden geboren» aus dem Sein oder im Sein; ebenso im zweiten Satz: «Das Sein entsteht aus oder «im Nichtsein». Von dem Sein, was durch Tao ist, wird geredet, von dem Sein, in und aus welchem alle Geschöpfe hervorgehen und welches für diese die Vermittlung des Wesens mit der Erscheinung ist. Dieses Sein hat Tao nicht an sich, darum erscheint es nicht; in Beziehung auf dieses Sein verhält sich Taos Sein als Nichtsein, als leerer Abgrund. War aber Tao vor Himmel und Erde, und ist es der Welt Anfang und Ursache, so ist es auch Ursache, daß das Sein aus dem Nichtsein hervorgeht, und da es (als das
Namen Habende) «aller Wesen Mutter» ist, so kann das Entstehen des Seins aus dem Nichtsein ebenso wenig nur blinde Evolution sein wie das Entstehen der Wesen aus dem Sein.

Das Nicht-sein, in welches Tao die Wesen zurückbewegt, ist nicht etwa ihre absolute Negation; es ist nur die Freiheit von demjenigen Sein, welches nicht das den Wesen gesetzte Ansich ist, sondern welches sie haben, welches ihnen zur Erscheinung und Entwicklung ihres substantiellen Seins dient. Das ihnen gesetzte und nun entwickelte, unverlierbare Selbstsein verhält sich wie ein Nichtsein zu jenem Sein. Auch Tao, sofern es sich «in das Nichtsein zurückzieht», ist ewig und hört nicht auf. Hätte es freilich das Sein, welches die Wesen haben, so wäre es auch Erscheinung, und die Welt hätte keinen Platz neben ihm. So aber «geht es durch alles hin ohne Gefahr».
 
 

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