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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 53



Wenn ich hinreichend erkannt habe,
wandle ich im großen Tao,
nur bei der Durchführung ist dies zu fürchten:

«Das große Tao ist sehr gerade,
aber das Volk liebt die Umwege.»

Sind die Paläste sehr prächtig,
sind die Felder sehr wüst,
die Speicher sehr leer.

Bunte Kleider anziehen,
scharfe Schwerter umgürten,
sich füllen mit Trank und Speisen,
kostbare Kleinodien haben in Überfluß,
das heißt mit Diebstahl prahlen,
wahrlich nicht Tao haben!
 
 


Der Inhalt der letzten Kapitel hatte etwas Abschließendes. Mit diesem Kapitel verstärkt sich die Darstellung der aus den bereits vorgetragenen metaphysischen und ethischen Grundsätzen abgeleiteten Politik. Der Wucht des alles umfassenden chinesischen Patriarchalstaats konnte und wollte auch Lao-Tse sich nicht entziehen; indem er ihn aber zu einem Organismus freier Sittlichkeit erhoben wissen will, geht er über die herkömmlichen Ansichten weit hinaus. Nach ihm soll der Staat dem Leben und seinen Zwecken dienen, nicht es beherrschen.

Den Übergang zu seinem Thema macht er durch einen Einwand gegen die allgemeine Anwendbarkeit seiner bisher entwickelten Lehre. Der chinesische Kommentar sagt dazu: «In Lao-Tses schlimmen Zeiten wandelten die Könige nicht in dem großen Tao, darum unterstellt er diese Worte» d.h. er legt sie ihnen unter. Doch erstreckt sich dies bis zu dem Ende der Periode, dem Tadel, daß das Volk krumme Wege liebe und daher von den Königen der große Weg nicht praktisch durchgeführt werde. «Tao» haben wir in seiner doppelten Bedeutung (prinzip; Weg) stehen lassen, doch soll die Bedeutung «Weg» hier in den Vordergrund treten.

Der redend Eingeführte macht absichtlich ein Wortspiel und braucht das Wort «tao», nach Art Khung-Tses und seiner Schule, in der geringeren Bedeutung, um die Lehre vom ewigen Tao, dem großen Prinzip Lao-Tses, gleichsam abzuwehren, wofür ihm am Schluß des Kapitels mit einem anderen bitteren Wortspiel geantwortet wird. Denn «Diebstahl» heißt auch «tao», nur anders betont und geschrieben. Lao-Tse sagt dort, Prachtliebe und Schlemmerei der Fürsten heiße «mit Diebstahl (tao) prahlen, und wahrlich nicht Tao ».

Der Redende, der für sich selbst den Besitz des ethischen Prinzips, den Wandel in Tao oder dem großen Weg, in Anspruch genommen, will sich rechtfertigen, weshalb er dasselbe nicht auch als Regierungsprinzip «entfalte, ausbreite und durchführe». Er fürchtet, sagt er, die Folgen. Der große Weg sei sehr gerade, eben und schlicht, das Volk liebe aber einmal die krummen Wege, die Nebenwege (dies bezieht sich wohl auch auf die Sittenlehre Khung-Tses), und werde daher mit jenem Heuchelei treiben oder sich ihm widersetzen. Der unsittliche   Zustand des Volks verhindere die Durchführung des höchsten sittlichen Prinzips seitens der Regierung. Hierauf antwortet dann das nächste Kapitel.

Die Anwendung der Erwiderung für den, der einen ethischen Wandel zu führen vermeint, ist nicht mißzuverstehen. Unter der übertriebenen Baulust der chinesischen Kaiser hat das Volk oft gelitten, und wird dessen Kraft, Zeit und Gut zum Bau prächtiger, hochaufsteigender Paläste in Anspruch genommen, so hat dies Vernachlässigung des Ackerbaus und Verarmung zur Folge. Auch um übermäßiger Kleider- und Waffenpracht, üppigen Gastereien und sonstiger Prunkliebe frönen zu können, müssen die Könige ihre Untertanen bedrücken und aussaugen. Was sie zu solchen Zwecken ihnen abnehmen, ist so gut wie gestohlen. Das heißt, mit «tao», «mit Diebstahl prahlen, wahrlich nicht Tao haben ». Einige Ausgaben haben statt «prahlen» einen Bekräftigungsausruf, wonach es hieße: «das heißt tao, wahrhaftig!, nicht Tao, fürwahr!»
 
 


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