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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 59




Regiert man die Menschen und dient dem Himmel,
so gleicht nichts der Genügsamkeit.

Nur das Genügsamsein, das heißt
zeitig vorsorgen.

Zeitig vorsorgen, heißt
Wohltaten reichlich aufhäufen.

Häuft man reichlich Wohltaten,
dann ist nichts unüberwindlich.

Ist einem nichts unüberwindlich,
so weiß keiner seinen Gipfel.

Weiß keiner seinen Gipfel,
so kann er das Land haben.

Hat er des Landes Mutter,
so kann er lange dauern.

Das heißt tiefe Wurzel, fester Grund,
Des langen Lebens,
des dauernden Bestehens Weg.
 
 



 

Hatte der Verfasser in den vorigen Kapiteln allgemeine Forderungen für Rechtspflege und Verwaltung aufgestellt, so wirft er nun einen Blick auf den Staatshaushalt, indem er den Regierenden Genügsamkeit und Sparsamkeit empfiehlt; auch in Kap. 67 legt er darauf großen Wert.

Wer die Menschen regiert und dadurch oder dabei dem Himmel dient oder ein Geschäft des Himmels verrichtet, ist nicht nur für sich genügsam, sondern er sammelt und spart auch für die Erfordernisse der Gesamtheit, um allen helfen zu können, die dessen bedürfen. Hat der Herrscher zu diesem Zweck «sich frühzeitig gewöhnt» und vorgesehen, so häuft er damit Wohltaten, wörtlich: «Tugend», für sich und andere, in dem doppelten Sinn, daß er sie erweisen kann und daß er sie erweist. Wer durch rechte Tugend oder deren Erweise, wie reichliche Wohltaten, die Herzen der Untertanen in Dankbarkeit, Liebe und Vertrauen gewonnen, der hat dadurch die ausgedehnteste Macht erlangt und kann alles durchsetzen, was Absicht eines «heiligen» Königs sein kann. So hat er nichts, was er nicht könnte; ihm ist nichts unmöglich, nichts unüberwindlich. Keiner weiß seinen Gipfel, keiner weiß, wie weit seine Macht reicht.

Hat er durch gehäuftes Wohl tun über die gesamte Bevölkerung eine innerliche Gewalt erlangt, von der niemand weiß, wie weit sie sich erstreckt, so gelangt er dadurch in den. wahren, vollen, durchgreifenden Besitz des Landes; er hat es, besitzt es. Unter der «Mutter des Landes» ist nicht Tao noch Genügsamkeit zu verstehen, sondern das, was mit dem Land oder Staat zugleich dessen Nährmutter ist, ihn versorgt, und speist, nämlich der Boden mit seinen Erzeugnissen und Vorräten, die bei ihm zusammenfließen, durch die er überallhin Gutes tut und die Gesinnungen der Menschen für sich und seine Regierung gewinnt. Denn hierdurch kann er seiner Regierung Dauer verschaffen; diese oder er als Regierender wird so tief und fest im Boden verwurzelt sein, weil er durch genügsamen Haushalt sich zum steten Wohltäter aller macht. Das ist für ihn der Weg (nicht ohne Hindeutung auf Tao als das große Prinzip), lange zu leben und «es auf die Dauer zu schauen ».
 
 

 
 

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