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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 62




Tao ist aller Wesen Bergungsplatz,
Guter Menschen höchster Schatz,
Unguter Menschen rettender Schutz.

Schöne Worte können erkaufen,
edler Wandel kann noch mehr erreichen.

Sind Menschen nicht gut,
wie dürfte man sie aufgeben!
Darum setzte man einen Kaiser ein
und bestellte drei Räte.

Mag er auch (jene) haben, die da Jade-Tafeln empor halten,
und vorfahren mit einem Vier-Rosse-Gespann,
so ist es doch besser,
stillsitzend weiterzukommen in diesem Tao.

Warum verehrten die Alten dieses Tao!
Sagen sie nicht,
wer sucht, der findet,
wer sündig ist, dem vergibt man?

Darum ist es das Köstlichste in der Welt.
 
 
 


Die drei Verse sind sicherlich Zitat. Sie sprechen das Verhältnis Taos zu allen Geschöpfen, dann zu den guten Menschen, zuletzt zu den unguten aus, damit sich danach das Verhalten der Regierenden namentlich zu den letzteren bestimme; denn auch darin soll der Herrscher sich Tao anähnlichen. Tao heißt aller Wesen «Zuflucht» (vgl. das hebräische «maon», Ps. 90, I) eine sichere, bergende Wohnung, nach dem Li Ki «des Hauses Südwest-Winkel, wo der Mensch den Hausgott verehrt und ausruht». Es ist damit gesagt, daß Tao alle schirmend umschließt.

Dem Guten sodann, der es kennt und hat, ist es ein köstliches Kleinod, dessen Besitz ihn beglückt; denn in ihm hat und vermag er alles. Der Ungute ist zwar nicht von Tao geschieden und ausgeschlossen, hat aber sich selbst ihm abgewandt und entfremdet; dennoch bleibt Tao seine Hilfe oder Rettung. Damit ist nicht nur gemeint, daß Tao seine bewahrende, schützende Hand auch von dem Unguten nicht abzieht, sondern vornehmlich, daß es ihn auch wieder zu sich zurückzuführen sucht, um ihn dadurch von Sünde und Schuld zu befreien, indem es ihn, wie der chinesische Kommentar bemerkt, durch Unglück und Not zur Erkenntnis und Reue bringt.

«Schöne Worte» haben hier wohl nicht den tadelnden Seitenblick, wie in Kap. 81 gemeint ist; durch freundliches, gutes Zureden lassen die Leute mit sich handeln, und man kann sie gewinnen. Ehrenhafter, ausgezeichneter Wandel kann noch mehr tun, eigentlich hinzufügen, d.h. sein Beispiel kann bewirken, daß die durch gute Worte Gewonnenen nun weitergehen und dem ihnen vorleuchtenden Wandel nachfolgen. Es ist also Hoffnung, daß die Nichtguten auf diesem Wege bekehrt und gebessert werden, und da dies Taos Wille ist - wie dürfte man sie dann aufgeben (w.: verwerfen, verstoßen)? Darum, um die Nichtguten durch Wort und Vorbild zu bessern, setzte man eine höchste Obrigkeit im Reich; dies wird immer als sittlicher Organismus betrachtet. Der Kaiser, «des Himmels Sohn», hat sein Amt, sein Mandat unmittelbar vom Himmel, der im Vaterverhältnis zu ihm gedacht wird, welches ihn zu unbedingtem Gehorsam und höchster Ehrerbietung gegen denselben verpflichtet. Rundlich geschliffene grüne Jadeplatten waren von den hohen Würdenträgern, wenn sie mit dem Kaiser redeten, «mit beiden Händen vorzuhalten », um ihn nicht anzuatmen.

Alle äußerliche Betreibung von Regierungsgeschäften, meint Lao-Tse, habe nicht den Wert, welchen die ruhige Nachfolge Taos in Rettung der nichtguten Menschen durch Zureden und erweckendes Beispiel hat, wozu eben die Höchstregierenden da seien. Die Erkenntnis der jederzeit möglichen Wiedervereinigung mit Tao und der Gewißheit, daß es dem anhaltenden Suchen sich nicht versagt und daß es Sünde oder Schuld vergibt, berührt sich mit dem Höchsten und Tiefsten reiner Religion, und man wird dadurch an Schriftstellen erinnert, wie: «So ihr mich von ganzem Herzen suchet, will ich mich finden lassen», und «Wo ist ein solcher Gott wie Du, der die Sünde vergibt». Den gleichlautenden Schluß hatten wir in Kap. 56 übersetzt: «Darum wird er von aller Welt geehrt», was hier nicht passend erscheint, da Tao nicht von aller Welt geehrt wird. Es ist aber das Herrlichste, Köstlichste in aller Welt, und «darum», weil es die Sünde vergibt.

Dies alles ist hier von Tao ausgesagt, damit der rechte Herrscher ihm darin nachfolge; denn dazu, hieß es, sei er gesetzt; und tut er es, so bekehrt er auch die Nichtguten zu Tao, vergibt ihnen wie dieses ihre Sünde und findet in Taos Ehre seine eigene.
 
 

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