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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 68




Wer tüchtig ist, Anführer zu sein,
ist nicht kriegerisch,
Wer tüchtig ist, zu kämpfen,
ist nicht zornig,
Wer tüchtig ist, Gegner zu überwinden,
streitet nicht,
Wer tüchtig ist, Menschen zu verwenden,
ist ihnen untertan.

Das heißt die Tugend des Nichtstreitens,
das heißt die Kraft der Menschenverwendung,
das heißt die Paarung mit dem Himmel,
des Altertums Höchstes.
 
 


Die allgemeinen Gedanken, mit denen das Vorkapitel schloß, werden ergänzt (s. a. Kap, 66). Auch der heilige Mensch in der Regierung kann in die Lage kommen, von den Waffen Gebrauch machen zu müssen; da muß er anführen, kämpfen, siegen können und seine Leute dabei gebrauchen. Wer dazu nun tüchtig oder gut ist, wer darin dem sittlichen Begriff entspricht, der wird sich für das gewöhnliche Urteil gleichsam im Widerspruch mit diesen Aufgaben erweisen, nämlich unkriegerisch, ohne Feuer, Streit vermeidend, seine Interessen unter die seiner Leute setzen; aber durch diese Friedfertigkeit und Selbstlosigkeit eine moralische Macht, wird er damit der überweltlichen Macht ähnlich und vereinigt.

Wer als Heerführer im sittlichen Sinn taugt, ist nicht kriegerisch; er liebt nicht Schlacht und Kampf, sucht sie nicht auf. Wer sittlich taugt, Kampf und Schlacht zu liefern, läßt sich nicht durch leidenschaftliche Aufwallung fortreißen, wird nicht «erzürnt». Ja, seine sittliche Tüchtigkeit zur Überwindung der Feinde läßt ihn zum wirklichen Streit gar nicht kommen; er streitet nicht und überwindet doch; nach chinesischem Kommentar: «dadurch, daß er mit Menschenliebe sich nähernd, mit Tugend sich entfernend, ohne Streit die Feinde zu freiwilliger Unterwerfung bringt». Denn sittlich tüchtig Leute zu gebrauchen oder zu verwenden, d. h. mit anderen zu verfahren, zeigt er, daß er keinen zur Unterwerfung zwingen, zum Blutvergießen treiben wolle, indem er seine Person, seine Interessen unter die ihrigen setzt; und gerade dadurch siegt und herrscht er.

Es zeigt sich, daß. das Tüchtigsein zum Nichtstreiten, worin dies «nicht kriegerisch sein, sich nicht erzürnen» gipfelte, sittlich gemeint war, da es nun als Tugend bezeichnet wird, die wir Friedfertigkeit nennen würden. Die wahre Kraft oder Fähigkeit, Menschen zu verwenden, besteht darin, daß man selbst ihnen untertan ist, ihnen dient; denn dann kann man sie leiten, wie man will. (Vgl. «Wer da will groß sein unter euch, der sei euer Diener; und wer da will der Erste von euch sein, der sei aller Knecht».) Ohne Streit durch die Kraft selbstloser Herablassung zum Dienst aller überwinden, das ist das Verfahren des Himmels, und ihm ist gepaart, geeint, wer ebenso verfährt. So dem Himmel vereint sein und ihm entsprechen, war des Altertums Gipfel, sein Höchstes, sein Ideal.
 





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