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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 81





Wahre Worte sind nicht schön,
schöne Worte sind nicht wahr.

Der Gute redekünstelt nicht,
der Redekünstler ist nicht gut.

Der Erkennende ist nicht vielwissend,
der Vielwisser erkennt nicht.

Der heilige Mensch sammelt nicht an
Je mehr er für die Menschen tut,
desto mehr hat er.

Je mehr er den Menschen gibt,
desto viel mehr hat er.

Des Himmels Weg ist,
wohltun und nicht schaden.

Des heiligen Menschen Weg ist,
tun und nicht streiten.
 
 



 

Eine Nachrede zum ganzen Buch ist dieses Schlußkapitel; es sagt, was Vorreden sagen, die auch zuletzt geschrieben werden. In seinen allgemeinen Aussprüchen gibt es zuerst Rechenschaft über die Form der Darstellung und über die Beschränkung des Inhalts, sodann über das Motiv der Abfassung, und schließt unter Hindeutung auf das Prinzip mit einem Satz, der sowohl das Verhalten des Verfassers im ganzen rechtfertigen, wie auch dem Leser ein gleiches Verhalten zur Welt empfehlen kann.

Auf wahre, aufrichtige, ehrliche Worte kam es Lao-Tse an; aber er weiß, daß solche Rede nicht mundet; sie ist nicht süß, nicht angenehm, nicht schön (Kap. 62). Weil aber die Menschen im allgemeinen der Wahrheit nicht hold sind, da diese sie verletzt, auch wenn sie die schönste Form hätte, darum sind wahre Worte nicht angenehm. Und dann ist auch das Umgekehrte richtig, daß Reden, die den Leuten angenehm und süß sind, nicht wahr sein können.

Wer gut ist oder der Gute, redet die Wahrheit und das Bewußtsein, daß diese die Menschen nicht anmutet, kann ihn nicht veranlassen, listig, nach Sophistenart disputierend, den Leuten nach dem Munde zu reden. Wer dies tut, ist nicht sittlich gut, ihm mangelt der ernste sittliche Untergrund. Der Satz richtet sich auch gegen die Sophisten, in China genannt «Disputieren (Pien). Wer auf höchste Erkenntnis sich konzentriert und damit in die Tiefe höchsten Wissens geht, bedarf weder, noch sucht er ein Viel-Wissen, eine Gelehrsamkeit, die in die Breite geht; wer in letzterer seinen Geist zerstreut, kann zu wahrer Erkenntnis nicht gelangen. Dies geht auch gegen die Konfuzianer.

Nach dem Verfahren des heiligen Menschen soll man zeitliche und geistig-sittliche Güter nicht als einen toten Schatz aufhäufen; man besitzt sie erst wahrhaft, wenn man sie für andere verwendet, damit für andere wirkt und schafft und tut, und sie werden dann erst viel oder mehr, wenn man sie anderen gibt.

Um zum Schluß an das große Prinzip zu erinnern, mit dem das ganze Buch begann und auf dem es beruht, wird des Himmels und des heiligen Menschen Weg, Verfahrensweise genannt, gleich, als stände da: Des Himmels Tao (Tao im Himmel) tut wohl, ernährt, nützt und schädigt nicht, verletzt nicht; des heiligen Menschen Tao (Tao im heiligen Menschen) tut, wirkt und streitet nicht. Vom Himmel heißt es: Er tut wohl, nicht weh; vom heiligen Menschen heißt es: Er tut (das Nicht-Tun, s.S. 367f.), er handelt, und händelt nicht. Er bestreitet niemandem etwas - denn seine Polemik und Apologetik besteht nicht in Rede, sondern in Wandel, in Tun und Sein.

Der Zweck des letzten Ausspruchs dürfte auch sein, daß Lao-Tse dem Leser zum Schluß andeuten wollte: Gehe hin und tue desgleichen.
 
 


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