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Erwachsen

Zwischen meinen Fingern halte ich eine Cigarre. Gerollte braune Blätter – Spiegelbilder der Natur und ihrem Vollenden im Vergänglichen. Wachsen – sein – sterben. Ich reise mit dem fetten Qualm, der auferstandenen Seele, der letzten Erinnerung an grüne Berge, Monsunregen und pflegender Sorgfalt. Sitzen – Stille – Genuss – bis ich selber verbrenne. Alles ein Teil von mir, und ich ein Teil von allem.

Als ich eben an meinen Bienevölkern war – eigentlich wollte ich nur mal schauen ohne was zu sehen – war vor dem Flugloch eine Biene erfroren. Ich nahm sie auf die Hand und irgendwie fühlte sie sich nicht tot an. In der Wohnung legte ich sie auf ein Papier, streichelte ihren Rücken. Mit der eindringenden Wärme zog sie sich weiter zusammen, krümmte sich stärker – aber der Stachel blieb im Leib. Die meisten toten Bienen haben den Stachel ausgefahren.

Ich hauchte ihr warme Luft zu, nach einigen Minuten zuckten die Fühler, ich gab ihr etwas Energie, und bald begann sie wieder länglicher zu werden. Vorsichtig schob ich sie zu einem kleinen Tropfen Honig auf dem Papier – sie begann zu saugen. Fuhr ihren Rüssel aus und trank den Honig. Eine halbe Stunde danach flog sie krabbelnd im Glas herum. Ich brachte sie dann wieder zu ihrem Volk. Doch sie flog in die Weite der Welt. Mit ihrem Abflug kam mir eine Erinnerung in den Sinn:

Eine Patientin ging vor ein paar Tagen mit mir den Flur entlang und im Duft des Tannenbaumes vorne am Fenster mußte sie plötzlich weinen. Weinnachten im Krankenhaus. Tränen wie die eines Kindes.


 
 
 
 

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© baraka | bernd schach