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Morgenkaffee


Der Kaffee ist heiß. Zu heiß um getrunken zu werden, und so bleibt nur das leichte Schlürfen, das zögernde Benetzen der Lippen mit dem heißen, noch geschmacklosen etwas. Aber der Duft, er verspricht Café. Ein Streichholz ratscht über die Reibfläche, leuchtet einen Moment auf, taucht kurz das Gesicht in ein helles Weiß und läßt es dann in einem weichen flackerndem Gelb zurück. Die Flamme wandert suchend in die Höhe, erfaßt das Ende eines Cigarillos, und bringt dieses in eine rötliche, angenehme Glut. Der Duft des heiligen Tabaks erhebt sich in die Zimmerluft, wandert in einem verzerrtem Schleier durch den Raum und hinterläßt ein Gespür von zarter Freiheit, von etwas Abenteuer.

Der Kaffee hat eine trinkbare Kühle erreicht, und so mischen sich der Geschmack vom Tabak und Café  im Mund zusammen, stürzt sich hinunter in den Magen. Dort verliert er sich. Es beginnt das kurze Warten, bis sich dann das Koffein durch die Schleimhäute gearbeitet und im Blut gelöst in das müde Gehirn steigt. Die Wärme und die Wirkstoffe vereinen sich, es kommt ein Gefühl auf, das an Wachheit erinnert.

Ein neben dem Kaffeetrinker liegender, fremder Körper zuckt unter der Decke. Eine Hand kriecht zögernd aus der Nachtwärme, wandert tastend umher, sucht den Wecker, stutzt, scheint sich zu erinnern, begibt sich zum Boden, und eine digitale Stimme bestätigt die Richtigkeit des Erinnern: „Es ist Achtuhr siebenunddreißig, guten Morgen“. Die Hand erschlafft für einen Moment, fast wie unter einem Schauer zuckt der Körper zusammen, ein zartes Stöhnen und dann zieht sich die Hand zurück, verschwindet unter der Decke. Ruhe.

Das Cigarillo verhaucht seinen letzten Rauchstoß in die abgedunkelte morgendliche Zimmerluft, steigt hinauf, erstrahlt in den vom Rollo zerbrochenen Sonnenstrahlen, und verliert sich dann irgendwo in den Weiten des Altbauzimmers.

Ein schönes Zimmer. Die Augen wandern durch die fremde Umgebung. Wo mag dieser Ort hier sein? Ist es weiter weg? Keine Erinnerung an den Weg hierhin. Im Kopf herrscht nur diese dumpfe einsame Leere. Auf dem Boden liegen Schuhe, zwei davon gehören zu ihm. Die anderen sind fremd. Weiß, leit erhöhte Absätze - scheinen modern zu sein. Mit den Schuhen flammt ein Bild auf. Eine Erinnerung an das verlorene Gestern oder ist es nur ein Werbephoto? Beine, schlanke lange Beine, die zu diesen Schuhen passen, zu sehr in diese Schuhe gehören, als das sie wirklich sein könnten. Neben dem Bett auf dem Boden knittert seine Hose. Aus ihrer Tasche schaut verstohlen seine Dannemann Cigarillo Schachtel, daneben liegen seine Streichhölzer. Ein Hauch von Vertrautheit in dieser seltenen Fremde.

Auf den hellen Dielen mitten im Zimmer liegt einsam sein Hemd, dicht dabei einige seiner Knöpfe. Daneben etwas aus schwarzem Stoff. Ein Kleid? Die Erinnerung schweigt weiter, läßt die jungen Gedanken nervös durch den Kopf rasen, läßt sie bald unsicher schwankend von einer Ecke des Zimmers zur anderen wanken.

Sein Blick kommt zurück zum Bett. Er versucht die Gestalt zu erahnen, die neben ihm liegt. Die Decke hebt sich unter gleichmäßigen, leichten Atemzügen. Ein schlanker Körper?, aber nicht sicher. Wunschvorstellung und Wirklichkeit können sich vermischen. Sie liegt auf der Seite, die Beine sind leicht zum Bauch herangezogen, ein Arm läßt hinter dem Rücken eine Beule entstehen. Das Gesicht ist verdeckt. Einige lange, dunkle Haarsträhnen schauen hervor. Das einzig wahre was er von ihrem Körper erkennen kann, was er scheinbar wiedererkennt. Und die Hand. Hier hilft zaghaft die Erinnerung. Zwar immer noch trübe, nicht ganz bei Bewußtsein, aber sie gibt das morgendliche Bild wieder. Leichte braune Haut, lange zarte Finger, kein Schmuck, eine rechte Hand. Die Nägel? Wie waren die Nägel? Die Erinnerung wehrt sich, läßt das Bild verschwimmen. Wieder alleine versuchen sich die Augen durch die Decke ein Bild zu malen.

Eine Bewegung. Eine stille Hoffnung und plötzlich auch das Gefühl von Furcht. Ein zarter, kleiner Fuß schiebt sich unter der Decke hervor, lenkt den Blick auf sich ab und läßt den unbeobachteten Körper wieder in das ruhige, gleichmäßige Atmen fallen.

Wie bei der Hand auch hier die leichte Bräune, die vom letzten Urlaub oder auch erkaufte Wohlstandsfarbe sein kann. Die Zehen sind gepflegt, die Nägel nicht lackiert. Die Erinnerung gibt wieder das alte Morgenbild der Beine und der Schuhe frei. Nein, es war Phantasie. Nicht diese Füße, nicht diese Beine. Und so erwacht die Vorstellung, zieht in Gedanken an, läßt das entstandene Bild der Erinnerung als Spiel und plötzlich zuckt ein Blitz, läßt eine Frau erscheinen und vergehen und wieder stille, leere Dunkelheit.

Die Augen beginnen von neuem zu erkunden, entdecken einen breiten Spiegel der in einem hölzernen Stuckbilderrahmen steckt. In seinen Rand sind Postkarten von entfernten Urlaubszielen, Photographien älteren Menschen, Kinderphotos, und zwei Bilder von einer Gruppe gesteckt. Die stille Absicht aufzustehen um die Bilder genauer zu betrachten, die plötzliche Spannung in seinem Körper, sie läßt das Bett erzittern und für einem Moment erwacht der fremde Körper, dreht sich auf den Bauch, stöhnt leicht, schläft wieder ein.

Sein Atem stockt. Angst vor dem Ungewissen, Angst vor dem Erwachen der Fremdheit. So gefangen in der leeren Erinnerung, mit der Hoffnung, daß noch einiges von gestern wiederkehrt verharrt er still, läßt sein aufgeschrecktes Herz zur Ruhe kommen und wartet.

Angestrengt beginnt er dann erneut die Dämmerung des Zimmers zu durchdringen, erahnt die Personen auf den Photos, vergleicht mit den Konturen unter der Decke. Meint zu erkennen und verwirft, vergleicht erneut und läßt dann die Gedanken fahren. Er legt sich zurück, dreht seinen Körper zu ihr hin, wartet. Langsam schiebt sich seine Hand zu ihrer Decke vor, streicht durch die Luft. Er weiß nicht, was er tun soll. In sicherer Distanz verbleiben? Den Schlaf des anderen nicht stören. Nicht mehr wissend, was geschehen, die Flucht ergreifen. Und dann den zarten Hauch des vergessen? Oder die Distanz zerbrechen, berühren und erwarten?

Seine Haut beginnt zu schwitzen. Und im Gedanken an die Flucht sinkt seine Hand, auf ihre Schulter. Durch die leichte Decke fühlt er diese Wärme und wie durch einen Zauber bringt die Erinnerung das Gefühl von einer Nacht hervor, entsteht die Erinnerung an diese letzt Nacht. Sein zögernder Druck wird zärtlich fester und vorsichtig erkundet er den Körper, der sich langsam erwachend unter der Decke regt.
 


 

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© baraka | bernd schach