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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 7


 
 


Der Himmel ist bleibend und die Erde dauernd.
Himmel und Erde können deshalb bleibend und
dauernd sein,
weil sie sich nicht selbst leben.

Darum können sie bleiben und dauern.

Daher:
Der heilige Mensch setzt sein Selbst hintan,
und sein Selbst kommt voran;

Er entäußert sich seines Selbst,
und sein Selbst wird bewahrt.

Ist es etwa nicht so,
weil er nichts eigen hat ?,
darum kann er sein Eigen vollenden.
 
 



 
 

Wurde im vorigen Kapitel gesagt, daß Himmel und Erde nicht von sich selbst da seien, daß sie viel mehr wurzelten und ihren Lebensgrund hätten in dem unsterblichen Geist, so hören wir hier, daß sie auch nicht für sich selbst leben und sind, und hieraus wird ihre Dauerbarkeit hergeleitet. Unbedingte Dauer kommt nur Tao zu, und im gleichen Maße, als etwas an ihm teilhat, hat es Dauer.

Je mehr es aber für sich und seine Eigenheit lebt, je mehr es sich auf sich selbst zusammenzieht, desto mehr verschließt es sich dem Einfließen des Tao, das seine Dauer ihm gewährt. Was sich selbst lebt, nimmt an eigener Lebensfülle zu, kann sie aber nicht festhalten, und sobald sie ihren Höhepunkt erreicht hat, schwindet sie wieder dahin (s. Kap. 55). Das Wesen, das sich mit ihr identifiziert hat, erliegt mithin gleicher Abnahme; Nicht-Tao oder taolos geworden, endet es bald. Himmel und Erde aber, in der ewigen Idee wurzelnd, ziehen alle ihre Lebenskräfte nur aus dieser, behalten sie aber in reiner Selbstlosigkeit nicht für sich zurück, sondern lassen sie auf alle Wesen fortwährend wieder ausfließen; und eben das verbürgt ihnen die bleibende Teilhaftigkeit an Tao und somit ihre eigene Dauer.

Hier wird vom Prinzip aus Grund gelegt für das Ethische. Daher - denn Himmel und Erde spiegeln das ewige Gesetz - richten sie sich nach Tao, der Heilige richtet sich nach ihnen. So ist ihre Selbstlosigkeit sein Vorbild. Er stellt sein Selbst nicht voran, er zieht es zurück, setzt es hintan, er will nicht der Erste sein, und dies nicht aus Absicht, sondern in lauterer Einfalt. Er entäußert sich seines Selbst, und darin liegt noch eine Steigerung; denn auch für sich will er nichts sein, in edlem Selbstvergessen gibt er sich ganz dahin. nicht aus Leidenschaft oder Gedankenlosigkeit. sondern wiederum in lauterer Einfalt und Güte.

Gerade dadurch erlangt er, was er zu verlieren schien, indem er es aufgab; er erreicht die ihm zu-kommende Voranstellung, er wird der Erste; er erhält, bewahrt sein Selbst. Von ihm selbst ist die Aktivität des Voranbringens und Bleibens hinweg-genommen. und als Subjekt derselben ist nach Kap. 51 Tao anzusehen. Himmel und Erde gleicht der heilige Mensch in der Selbstlosigkeit, darum bleibt und dauert sein Selbst (w.: Körper, Person, Persönlichkeit) - auch wenn er stirbt, vergeht er nicht (s. Kap. 33). Die verneinende Frage sagt ausdrücklich, dass des heiligen Menschen Vorankommen und Bewahrt werden keinen anderen Grund hat, als weil er sein Selbst hintansetzt und sich dessen entäußert.

Er will nichts für sich sein und haben, er verzichtet auf alles persönlich ihm Angehörige und Eigene, und eben dadurch vermag er zur Vollendung zu bringen, was im eigentlichen Sinn sein Eigen ist, sein wahres Selbst. Es bedarf kaum der Erinnerung, wie nahe sich dies mit evangelischen und ebenso paradoxen Worten berührt: «Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden», «die Letzten werden die Ersten, sein», «wer seine Seele lieb hat, wird sie verlieren, und wer seine Seele haßt in dieser Welt, wird sie erhalten zum ewigen Leben.»

 
 
 

 

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