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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 13


 
 


Gnade und Ungnade ist wie eine Furcht,
Würde eine so große Plage wie der Körper.

Was heißt:
Gnade und Ungnade ist wie eine Furcht ?

Gnade erniedrigt:
Sie erlangen, ist wie eine Furcht,
sie verlieren, ist wie eine Furcht.

Das heißt: Gnade und Ungnade ist wie eine Furcht.

Was heißt:
Würde ist eine so große Plage wie der Körper ?

Ich habe deshalb große Plage, weil ich einen Körper habe.
Bin ich erst ohne Körper, welche Plage habe ich?
Darum:

Wer an Würde das Reich dem Körper gleichachtet,
dem kann man das Reich anheimstellen.

Wer an Liebe das Reich dem Körper gleichachtet,
dem kann man das Reich anvertrauen.
 
 



 

Die Sprüche fassen die hohen Würden von einer zweifachen Seite, einmal als Folge höherer Begünstigung und Gnade, sodann als Quelle großer Nöte und Plagen. Sie vergleichen den Zustand dessen, der von Gnade und Ungnade abhängt, mit dem eines in steter Furcht Lebenden, mit einer Furcht; und die erlangte Würde und Hoheit als Quelle großer Plagen mit dem eigenen Körper des Menschen. Nun ist Gnade und Ungnade als Abhängigkeit von höherer Gunst nicht selbst eine Furcht, sondern gleichsam eine solche; man erlangt die Gnade unter der steten Angst, sein Ziel zu verfehlen, daher ist «sie erlangen wie eine Furcht»; und man besitzt sie unter fortwährender  Besorgnis, sie zu verlieren, daher ist auch «sie verlieren wie eine Furcht». Ein solcher Zustand ist etwas den höheren Menschen Entwürdigendes, Erniedrigendes.

Große Plagen werden dem Körper gleichgestellt, weil der Körper selbst Quelle der Plagen für uns ist. Alle Nöte und Schmerzen, die uns zu stoßen können, kommen von unserer Einkörperung. Mit der Entkörperung hören sie für uns auf. Woraus sich ergibt, daß Lao-Tse sich auch dann noch als ein Ich denkt, wenn er keinen Körper mehr hat, und daß ihm dieser körperlose Zustand als ein durchaus leidenloser gilt.

Wer nun in betreff der Würde das Reich dem Körper gleichachtet oder den Körper für das Reich ansieht, d. h. wer in betreff einer hohen Stellung die ganze Reichsleitung gleich seinem Körper für eine große Plage ansieht, dem kann man das Reich getrost überlassen; und wer betreffend Liebe und Anhänglichkeit sich ebensoviel aus dem Reich macht wie aus seinem Körper, der Ursache aller Plagen, dem kann man das Reich anvertrauen. Denn wer den Körper als Ursache und Sitz seiner Leiden erkennt, wird ihn weder als etwas sonderlich Hohes und Würdevolles ansehen, noch ausnehmend lieben. Man kann sich nicht enthalten, den Körper, an den man nun einmal organisch gebunden ist, und dessen Zustände unsere eigenen Zustände sind, hochzuhalten und zu lieben, obgleich er die Quelle unserer Leiden ist; weil er dies aber doch ist, so wird man ihn auch zugleich gegen sein höheres Selbst herabsetzen und von ihm erlöst zu sein wünschen; und wenn man ohne Körper ist, nicht nach einem

Körper verlangen. Der nun wird am besten regieren, der in demselben Sinn sich des Reichs annimmt wie seines Körpers, dem die Reichsleitung etwas so Hohes, Würdiges und Liebes ist wie sein Körper, aber auch nur wie sein in jenem Licht betrachteter Körper, den er als die Quelle aller Mühsal und Schmerzen zugleich gering schätzt und loszuwerden wünscht, für den er sorgt und den er pflegt, weil er ihn besitzt, auf dessen Besitz er aber keinen Wert legt. Betrachtet man nun die hohe Stellung, die von Gnade und Ungnade abhängt, nur als Quelle großer Plagen, so wird man nicht mehr unter jener Furcht stehen, daß man sie nicht erlangen oder daß man die erlangte wieder verlieren könne, da man im ersten Fall nur vor großem Übel behütet, im zweiten nur von ihm befreit wird.

Hiermit endigen die sechs Kapitel, in welchen der im 7. Kapitel festgestellte Grundsatz seine weitere prinzipielle ethische Ausführung erhalten hat, und es wird nunmehr wieder auf das höchste Prinzip zurückgegangen.
 
 
 

 

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