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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 23



Wenig reden ist naturgemäß.
Wirbelwind währt keinen Morgen,
Platzregen währt keinen Tag.
Wer macht diese ?
Himmel und Erde.
Himmel und Erde sogar können nicht dauern,
wieviel weniger denn der Mensch!

Darum:
Wessen Tun mit Tao übereinstimmt,
wird eins mit Tao.

Der Tugendsame wird eins mit der Tugend,
Der Verderbte wird eins mit der Verderbnis.

Wer eins wird mit Tao,
auch Tao freut es, ihn zu bekommen.
Wer eins wird mit der Tugend,
auch die Tugend freut es, ihn zu bekommen.
Wer eins wird mit der Verderbnis,
auch die Verderbnis freut es, ihn zu verderben.

Vertraut man nicht genug, erhält man kein Vertrauen.
 
 



 
 
 
 

Der Anfang dieses Kapitels erinnert an das Ende des fünften; doch wird hier weder empfohlen noch ermahnt, «wenig zu reden», sondern es wird als etwas anerkannt, das «von selbst so», das sich von selbst versteht, also natürlich, naturgemäß ist. Wenn auch die größten Naturmächte, wenn Himmel und Erde zusammenwirken, um Wirbelsturm und Platzregen zu erzeugen, so gewaltsamen Vorgängen vermögen sie doch nur kurze Dauer zu verleihen; sie können nicht lange Zeit dabei «dauern». Diesen Äußerungen sonst zu-rückgehaltener Naturkräfte sind die Redeäußerungen der Menschen zu vergleichen, wenn sie über große Gegenstände sprechen. Um recht von ihnen zu reden, bedarf es gleichfalls der Aufbietung der tiefsten und gewaltigsten Kräfte des Geistes; das Wort soll dann, ja, es kann nicht anders, es muß dann einem Wirbelsturm, einem Platzregen gleichen, aber noch rascher als diese zu

Ende eilen. Denn wieviel geringer ist das Ver- mögen des Menschen als das von Himmel und Erde! Ähnlich äußert sich einmal Jakob Böhme, er habe seine Grundintuitionen zwölf Jahre bei sich herumgetragen: «bis es mich hernach überfiel als ein Platzregen; was der trifft, das trifft er; also erging es auch mir». «Himmel und Erde sogar können nicht dauern» hat zur Ergänzung «dabei», da der Zusammenhang auf die Dauer jener Naturvorgänge deutet; auf die allgemeine Dauer von Himmel und Erde ist hier wohl weniger, höchstens in doppelsinniger Andeutung, hingewiesen, ebensowenig auf die des Menschen.

Der folgende Teil des Kapitels scheint schon früh mißverstanden worden zu sein und deshalb im Text Beschädigungen erlitten zu haben. «Tun»  (w.: Geschäft, Angelegenheit verfolgen, nachgehen) steht im Gegensatz zu den erwähnten Reden. Wer in seinem praktischen Verhalten, in seinem Tun Tao nachfolgt, ihm gemäß ist, der wird eins mit Tao, dasselbe mit Tao; er tritt mit ihm in innere Wesenseinheit. Dieses Einswerden, dieses Verselbstigen mit Tao erinnert an Eckhart sowie an die «deutsche Theologie». Es ist ein um so bedeutsamerer Gedanke, als es keineswegs auf pantheistische Voraussetzungen begründet, sondern lediglich aus dem ethischen Verhalten hergeleitet wird. Dies zeigen auch die beiden angeschlossenen Aussagen, daß der Tugendliche nach seinem mit der Tugend übereinstimmenden Tun mit der Tugend eins wird, der Verderbte nach seinem der Verderbnis gemäßen Tun mit der Verderbnis.

Wer durch Nachfolge Taos zur Wesenseinheit  mit ihm kommt, der wird auch von Tao mit Freuden aufgenommen und angeeignet. Tao bewegt  sich ihm entgegen, fördert und vollendet sein  Streben und freut sich, ihn zu erhalten. Ähnlich  die Tugend, die (und so auch die Verderbnis) hier  entweder rhetorisch personifiziert wird, oder  auch durch diejenigen, welche sich mit ihr bereits identifiziert haben, vertreten gedacht werden  mag. Die Verderbnis aber freut es, den, der sich  mit ihr vereinigt, zu verderben, und dies ist ein unzweifelhafter Erfahrungssatz. Wer eins wird mit  Tao, der Tugend oder der Verderbnis, der zeigt  dies auch ohne seinen Willen und lehrt ohne Rede.

Der Ausspruch vom Vertrauen kam schon im Kap. 17 vor, in bezug auf Regierende und Untertanen. Hier allgemein: Um besser und veredelnd auf die Menschen einzuwirken, soll man nicht viel reden, sondern selbst das Beispiel eines Menschen darstellen, der eins ist mit Tao und der Tugend, und dann vertrauen, daß dies seine Wirkung ausüben werde. Wem dies Vertrauen gebricht, wird um so mehr auf die Menschen hinein lehren und reden und eben darum kein Vertrauen finden.

«Verderbnis» erklären andere Ausleger mit Verlust und übersetzen entsprechend: «Wer eins wird mit Verlust, freudig umarmt er auch den Verlust», d. h. er ist auch im Verlust mit seinem Los zufrieden. Auch dies ist grammatisch zulässig, jedoch geht der ethische Zusammenhang in seiner Gegensätzlichkeit und Gegenseitigkeit verloren.

 

 
 


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