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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 26





Das Schwere ist des Leichten Wurzel.
Das Ruhige ist des Unruhigen Herr.

Daher:
Der heilige Mensch wandelt den ganzen Tag,
ohne von ruhigem Ernst zu weichen.

Hat er auch prächtige Gebäude,
gelassen bewohnt er sie und verläßt sie ebenso.

Wie aber, wenn der Gebieter der zehntausend Streitwagen
um seiner selbst willen leicht nimmt das Reich?

Nimmt er es leicht, so verliert er die Vasallen.
Ist er unruhig, so verliert er die Herrschaft.
 
 



 

Dem vorigen schließt sich dieses Kapitel an, indem der rechte Mensch, zumal der königliche, sich nach der Norm richte, welche das Gesetz irdischer Dinge ihm vorhält. Wurzel, d.h. Grundlage und Träger des Leichten, ist das Schwere. So trägt das schwere Gebirge den Wald, so dessen Holz die leichten Blätter und Blüten; so steigt aus schwerem Gewässer der leichte Wolkendunst empor usw. Herr des Unruhigen ist das Ruhende: das unbewegliche Strombett gebietet dem Lauf des beweglichen Wassers, am festen Gemäuer bricht sich der unruhige Wind usw. Dasselbe Gesetz behauptet sich in seiner Anwendung auf den Menschen, sowohl am einzelnen für sich als in dessen Verhältnis zu anderen.

Wer im Sittlichen, im Wissen oder in einer Kunst das Schwere schwer oder ernst genommen, dem wird danach alles darin leicht, während auch das Leichte dem mißlingt, dem jene Unterlage des Ernstes fehlt. Und die Unruhe, die von innen oder von außen den Menschen verwirren will, beherrscht nur, wer es zur festen Ruhe der Seele gebracht hat. So wird auch die Behandlung der Menschen und ihrer Verhältnisse nur dem leicht, der es ernst damit nimmt; und die Unruhigen beherrscht und lenkt nur der Ruhige.

«Der heilige Mensch» ist hier nicht der im höchsten Sinn so bezeichnete vorbildliche des Kapitels 22, sondern wie auch sonst oft der wahrhaft Weise; doch schimmert immer das Ideal durch. «Von ruhigem Ernst» heißt wörtlich «des Lastwagens Schwere» und wird auch von einem Reisenden gesagt, der alle seine Habe mit sich führt. Es läßt sich auch denken, das Bild solle auf die Last obliegender Pflichten hindeuten, da bald danach von dem Kaiser geredet wird, der die seinigen leicht nimmt. Den heiligen Menschen verläßt die ruhige Fassung so wenig bei aller Fülle des Besitzes und der Hoheit wie bei deren Verlust. «Gelassen» heißt zugleich die «Schwalbe», also wie eine Schwalbe sich gelassen niederläßt und wieder davonfliegt.

Der Gebieter der zehntausend Streitwagen ist der Kaiser oder König. Seinetwegen, für seine Person, deren Genüsse und Leidenschaften ihm im Vordergrund stehen, zeigt er sich leicht oder leichtsinnig. Das Wort «leicht» weist auf den Anfang und bezeichnet nun die falsche, wurzellose Leichtigkeit, die nicht den schweren Ernst zur Grundlage hat. Bei leichtfertiger Führung des Reichs kommt es dazu — und dies hat sich in der Geschichte oft genug dann ereignet —, daß die Lehnsfürsten, Vasallen und Minister sich als Aufrührer erheben, das Volk aufsteht und die Herrschaft, das Reich, einem solchen Regenten verloren geht.
 

Eine etwas Zeitgemäßere Übersetzung des Textes würde lauten:
 

 
Das Feste ist des Leichten Wurzel
Das Ruhende ist des Ruhelosen Ausgang.
Der Heilige wandelt ohne der Ruhe im Festen
Zu verlieren ....[...]


 

 
 


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