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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 30




Wer mit Tao dem Menschenherrscher beisteht,
vergewaltigt nicht mit Waffen das Reich.
Sein Verfahren liebt zurückzukehren.
Wo Heerhaufen lagern, gehen Disteln und Dornen auf.
Großer Kriegszüge Folge sind sicherlich Notjahre
Der Gute siegt, und damit genug.

Er wagt nicht, zur Vergewaltigung zu greifen.
Er siegt und ist nicht stolz,
er siegt und triumphiert nicht,
er siegt und überhebt sich nicht,
er siegt, wenn er es nicht vermeiden kann,
er siegt und vergewaltigt nicht.

«Was stark geworden ist, ergreist,
und das ist, was man Tao-los heißt;
was Tao-los ist, das endet früh.»
 
 


Lao-Tse spricht hier und in dem nächsten Kapitel, des unter zahllosen Fehden und Aufständen leidenden Reichs gedenkend, seine tiefe Abneigung gegen Waffengebrauch und Krieg innerhalb desselben aus. Indem er sich nicht verhehlt, daß auch der friedliebendste Weise im Rat des Kaisers durch Friedensstörer und Empörer gedrängt werden kann, die Waffen zu ergreifen, zeigt er hier, mit welcher Zurückhaltung derselbe sich als Sieger benehmen werde, im folgenden Kapitel, wie ungern und zögernd er sich zur Anwendung der Waffen entschließen und nach dem Sieg sich dessen nicht freuen, sondern weit mehr die blutigen Opfer desselben beklagen werde. «Wer dem Beherrscher der Menschen (das bedeutet dem Kaiser) beisteht », zur Seite, eigentlich zur Linken ist, gehört zu den höchsten Reichsbeamten, denen es obliegt, Ruhe und Ordnung zu erhalten und, wo nötig, herzustellen. Tut er dies mit Tao, so tut er es nicht mit Waffen, und muß er Waffen anwenden, so  tut er es nicht, um nachher Zwang und Gewalt zu üben.

Was er den Menschen tut, pflegt von ihnen wieder auf ihn zurückzukehren; wie er gegen sie verfährt, verfahren sie gegen ihn. Wie dem »Wohlwollen« Wohlwollen, so pflegt der »Waffengewalt« Waffengewalt zu begegnen. Krieg ist dann die Folge und somit die Übel des Krieges, Vernichtung des Landbaus, Verwüstung der Felder, Hungersnot, Krankheiten, Elend aller Art auf Jahre hinaus.

«Der Gute », das heißt, wer mit Tao sein Amt führt, «siegt», das bedeutet ursprünglich «ist tüchtig, tapfer, entschlossen», dann: sich so erweisen. Daß der Gute siegen müsse, ist vorausgesetzt. Der Gute also siegt, und damit ist für ihn der Waffengebrauch abgetan. Er mißbraucht den Sieg nicht, um zu Gewalttaten zu greifen und Zwang zu handhaben. Auch die persönliche Haltung des Guten bleibt ungeachtet des Sieges gelassen und bescheiden. Er rechnet ihn sich weder zum Ruhme an, noch hält er große Einzüge mit Siegesgepränge, noch zeigt er sich anmaßend. Er siegt durch Waffen, weil er und wenn er nicht anders verfahren kann. Haben ihn aber die Gegner auch zum Kampfe gezwungen, so übt er dennoch nach dem Sieg nicht Gewalt gegen sie aus. Er erobert und annektiert nicht, was ihm nicht gehört, erzwingt keine Rechte, die ihm nicht zukommen, und fordert keine Kriegskontributionen ein.

Wer also ohne Not die Waffen ergreift, dann mit seinem Sieg stolz prunkt und ihn zu Vergrößerungen, Unterdrückung und Erpressung mißbraucht, der kann zwar Größe, Ruhm und Macht erlangen, verfällt dann aber sicher und unaufhaltsam einem höheren Gesetz. So der Vers (siehe auch Kapitel 55,) «ist ein Wesen erstarkt, dann altert es». Die Zunahme an Größe und Kraft ist selbst schon Beweis jener Wandelbarkeit, wonach ihr unvermeidlich die Abnahme, das Altern, folgt.

Da Tao unwandelbar (Kapitel 25), mithin ohne Zunahme und Abnahme ist, so folgt, daß dasjenige, was zu- und abnimmt, insofern taolos, ohne Tao, ist. Bei ihm ist daher an einen Bestand der erlangten Fülle und Kraft nicht zu denken; kaum sind diese eingetreten, so tritt bereits auch deren Verfall (s. Kapitel 36), das Altem, das Ergreisen, ein. Mit dem Taolosen ist es früh zu Ende. Wer also nicht mit Tao dem Menschenbeherrscher beisteht, geht bald seinem Untergang entgegen. Er stieg nur, um desto sicherer zu fallen; und gleiches gilt von der gewaltsam begründeten Macht.

 
 
 

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