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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 37




Tao ist ewig Nicht-Tun,
und doch bleibt nichts ungetan.
Wenn Fürsten und Könige (es) zu halten vermöge!
werden alle Wesen von selbst sich umwandeln.
Wandeln sie sich um und begehren doch zu tun,
werde ich sie zurückhalten mit des Namenlosen
Einfachheit.

«Des Namenlosen Einfachheit
Bringt auch Begehrenslosigkeit.
Begehrenslosigkeit macht ruhn
Und alle Welt von selbst recht-tun.»
 
 
 



 

Der Schluß des ersten Buchs gibt eine Zusammenfassung. Nicht mit Taten der Strenge und Gewalt sollen die Regierenden vorgehen, sondern das Verfahren Taos beobachten, das als das ruhende (Yin) Allbewegende (Yang) durch die Macht dessen, was es ist, Nicht-Tun und Tun vereinigt. Bei allem, was in der Welt geschieht, tritt sein Tun als solches nie heraus; der sorgfältigen Beobachtung erscheint nur eine unübersehbare Kette von notwendigen Wirkungen gegebener Ursachen. Und gerade hierin, gerade in der Stetigkeit, Hoheit und Schönheit des sittlichen und natürlichen Weltgesetzes, welches jene beherrscht, wird dem aufgeschlossenen Auge das immer wirkende Wollen Taos erkennbar, das Verborgene klar (Kapitel 36). Sein Tun, d. i. sein Nicht-Nicht-tun ist, daß es seinen Willen in den Dingen und Ereignissen und durch dieselben zur Tat werden läßt, das heißt Nicht-Tun. Es tut spontan, aus sich heraus, geheim und mühelos und ist so ewig Nicht-Tun. Es tut das Nicht-Tun; so tut es und ist doch ohne Tun. Es ist über dem Tun, wie über dem Sein, dennoch tut es und ist es.

Wenn die Regierenden imstande sind, Taos Verfahren zu beobachten, es «einzuhalten», d.h. in Tao zu wandeln und zu handeln, und damit durch Nicht-Tun, d. h. ohne Verbote, Zwang  usw. sittlich zu wirken, so wird dies auf alle  eine derart überwindende Macht ausüben, daß alle Anstalten und Maßregem zu Herstellung und Aufrechterhaltung von Sitte und Recht unnötig werden und jeder von selbst sich einem reinen und gerechten Leben zuwenden wird (s. Kapitel 32). Tritt eine solche Umwandlung ein, und die Menschen wollen doch noch etwas tun, begehren doch etwas zu machen, was mit dem Zustand eines Gewandelten, eines Bekehrten nicht in Einklang steht, so würde es hinreichen, sie auf den unnennbaren höchsten Grund, auf Tao, hinzuweisen, um sie davon zurückzubringen. Manche Ausleger erklären «zurückhalten, niederhalten» mit «beruhigen, zur Ruhe bringen», so daß «begehren zu tun», zu handeln gewissermaßen «sich bewegen, in Bewegung setzen» entspricht, danach Nicht-Tun als Nicht-Bewegen, als Regungslosigkeit (s. Kap .6,10, Komm.) aufgefaßt werden kann; doch ist hier ausdrücklich ein anderes Schriftzeichen für «tun», machen, gewählt.
Das Verszitat besagt, daß die Versenkung in das einfältige, ewige Tao Begierdelosigkeit verleiht; und letztere erstreckt sich auf alles, was nicht begehrt werden soll. Nicht begehren, ist befriedigt sein. Hat alle Begier und Leidenschaft aufgehört, so tritt die innere Ruhe ein, die Ruhe in Tao, aus dessen Gemeinschaft auch deren Ursache, die Begehrenslosigkeit, hervorging. Und in diesem Zustand wird alle Welt, was sich auch mit dem Begriff des Reichs deckt, doch mehr die Menschen als politische Gesamtheit meint —, alle Welt wird von selbst, ohne Zwang und freiwillig, recht, so sein, wie sie sein soll.

Der erste Satz des Kapitels lautet wörtlich: »Tao ewig hat nicht tun«, entspricht also genau dem Anfang des 32. Kapitels, der wörtlich heißt: Tao ewig hat nicht Namen, d. h. Tao, das Ewige (in seiner Ewigkeit), ist das Namenlose (Kapitel 1); Tao, das Ewige (in seiner Ewigkeit), ist das Nicht-Tun, das Nicht-Tuende, oder: Tao, das Ewige, hat keinen Namen; Tao, das Ewige, hat kein (nicht) Tun (Kapitel 2, 3). Seine ursprüngliche Einfalt bringt Begierdelosigkeit und damit Ruhe, und alle Welt wird von selbst recht, wenn sich die Regierenden daran halten. So werden durch einige wenige Worte in diesem letzten Kapitel des ersten Buchs nochmals die vorhergehenden zusammengefaßt und kurz und doch vollendet in ihrer metaphysischen und ethischen sowie politischen Lehre angedeutet (s. Kapitel l, 2, 3, 6, 10, 15, 16, 25, 28, 32 usw.).
 
 

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