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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 44



Name oder Person, was ist näher?
Person oder Besitz, was ist mehr?
Erwerben oder Verheren, was ist schlimmer?

Daher:
«Wer zu sehr hebt,
Notwendig groß ausgibt.

Wer viel ergiert,
Notwendig stark verliert.

Wer Genügen kennt,
Wird nicht geschänd’t.

Wer still kann stehen,
Wird Gefahren entgehen,
Und kann so lange dauern.»
 
 
 



 

Nach dem Sprichwort des 42. Kapitels wird hier ausgeführt, was nun für Gewinn und Verlust zu achten ist. Daß die Person, das eigene Selbst, jedem näher liegen sollte als der Name, Ruf oder Ruhm vor der Welt, jedem schätzbarer sein sollte als der zeitliche Besitz von Hab und Gut, versteht sich eigentlich von selbst; und doch sieht man, wie viele ihre Person dransetzen, um Ruhm oder Reichtum zu erwerben. Jeder wird zugeben, daß Verlieren schlimmer, schmerzlicher ist als Erwerben oder Erlangen. Doch soviel einer an Ruhm und Reichtum erwirbt, soviel verliert er an seinem Selbst, an seiner Seele. Und nicht allein dies, sondern er muß auch das Erworbene wieder aufgeben und hat am Ende nur den Schmerz doppelten Verlusts.

Im Verszitat bezieht sich das «zu sehr liebt» zunächst auf Ruhm und Besitz, ist aber wohl allgemein in bezug auf alles gedacht, dem man eine große Leidenschaft widmet. Bei solcher Leidenschaft muß man die richtige Schätzung der Dinge verlieren, und, um zu erreichen, was man liebt, gibt man beträchtlich aus. Dies dürfte sich auf das Selbst beziehen, von dem man der Leidenschaft beträchtlich opfert. «Ergiert» heißt «mit Gier ansammelt». «Wer viel anhäuft, verliert notwendig erheblich », wenn er nämlich verliert, was ja einmal, am Ende des Lebens, eintreten muß.

Also : Was man leidenschaftlich liebt, möchte man gewinnen, und, um es zu gewinnen, setzt man beträchtlich dran, was man also verliert. Was man aber auch gewinne und aufhäufe, je mehr es ist, desto größer der Verlust, wenn man es einmal aufgeben muß. Genügsamkeit und Zurückhaltung schützen vor jenem doppelten Verlust. Durch die erste leidet man nicht an seiner Ehre; denn «sich zu genügen wissen, schändet nicht». Durch die zweite entgeht man der Gefahr, welcher Leidenschaft entgegentreibt, denn «stillstehen zu wissen, gefährdet nicht», und vor etwas stillstehen, bedeutet, sich seiner enthalten. Der chinesische Kommentar bemerkt dazu: «Weiß der Mensch stillzustehen und sich zu genügen, so hat er Glück und Gut in sich selbst. Sich selbst beherrschend, beschwert er seinen Geist nicht; ein Land beherrschend, drückt er das Volk nicht; darum kann er lange dauern» - weder sich selbst reibt er auf, noch gefährdet ihn äußere Gewalt.
 
 

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