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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 46




Hat das Reich Tao,
so hält man Gangpferde zur Felddüngung.

Hat das Reich nicht Tao,
so züchtet man Kriegsrosse an den Grenzen.

«Kein größerer Frevel,
als Gelüst erlaubt zu nennen,

Kein größeres Unheil,
als Genügen nicht zu kennen,

Kein größeres Laster,
als nach Mehrbesitz zu brennen.»

Darum: Wer sich zu genügen weiß,
hat ewig genug.
 
 



 

Daß nicht jeder Gewinn Gewinn ist, daß Ungenügsamkeit und Habsucht an sich und in ihren Folgen verderblich sind, wird nun an größeren Verhältnissen gezeigt. Die ersten Sätze weisen auf das Verhältnis zu Tao als auf die Grundursache für Wohlsein oder Leiden der Welt, des Reichs. Es wird von Frieden und Krieg geredet; Gangpferde sind soviel wie Arbeitspferde (nach anderen: Rennpferde); die Züchtung von Kriegsrossen auf den Feldern der Grenzbezirke (zu Angriffen), oder nach anderen: auf dem Gemeindeacker oder auf heiligem (dadurch entweihtem) Opfergrund, kann auch dahin verstanden werden, daß Kriegsrosse an den Grenzen oder bereits im Ausland leben, sich tummeln.

Der Segen des Friedens, bei dem man den Landbau zu Ernährung und Wohlstand aller pflegt, und der Unsegen des Kriegs, der diese Verhältnisse zerrüttet, beides ist davon abhängig, ob das Reich Tao hat, d.h. sich daran hält und ihm folgt oder nicht.

Die Herrschenden, Regierenden und Mächtigen sind gemeint, ohne die Anwendung auf andere auszuschließen. Größter Frevel oder größte Sünde (Folge des Abfalls von Tao und Ursache des Kriegsunglücks) ist, «sich das Begehren, das Gelüsten zu gestatten». Man wird dabei an das zehnte Gebot erinnert.

An dem Gelüsten nach dem, was man nicht hat, entzündet sich die Unzufriedenheit mit dem, was man hat; dies, daß man kein Genüge kennt, sich «nicht zu genügen weiß», heißt das größte Unheil oder Unglück (jedoch selbstverschuldet). Jenes Gelüsten und dieses Ungenüge erzeugen dann als größtes Laster das Begehren nach Erwerb, die Sucht nach Mehrbesitz, hier im engeren Sinn die Eroberungssucht, welche zum Krieg führt. So hat es schon vor 2300 Jahren der chinesische Weise als Sünde, Unheil und Laster gekennzeichnet, wenn ein Staate sich der Nachbarländer gelüsten läßt, es ihm an der erreichten Größe und Macht nicht genügt und er seiner Eroberungssucht nachgibt, um verbündete Länder wider ihren Willen zu unterwerfen. Es scheint, als ob das sittliche Urteil nach 2300 Jahren eher gesunken als gestiegen ist.

«Darum, wer des Genügens Genüge kennt», wer weiß, daß das Genügende genug ist, oder nach anderer Lesart: «wer sich zu genügen weiß», hat ewig genug. Es scheint damit auf das Kennen des Ewiggenügenden angespielt zu werden. Hat man Tao, so hat man auch genug.

 
 
 

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