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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 48




Wer lernen tut, nimmt täglich zu;
Wer Tao tut, nimmt täglich ab,
nimmt ab und wiederum nimmt ab,
um anzulangen im Nicht-Tun,
«Nicht-Tun, und doch bleibt nichts ungetan.»

Übernimmt er das Reich,
(so ist es) stets durch Nicht-Geschäftigkeit.
Solange einer Geschäftigkeit hat,
verdient er nicht, das Reich zu übernehmen.
 



 

Bis in dieses Kapitel weicht die Ausführung des Paradoxons vom Verlieren und Gewinnen, und von jenem wird hier sogar der Erwerb der Reichsherrschaft abhängig sein. Zunächst knüpft Lao-Tse an das von den emporstrebenden Weltlingen so emsig betriebene äußerliche Lernen an, gegen welches er sich schon in Kap. 20 erklärte.

Wer sich in diesem Sinn den Erwerb von Kenntnissen, das Wissen von dem, was andere gewußt haben, das Lernen zum Geschäft macht, der häuft allerdings des Angeeigneten immer mehr an, während er das Selbsteigene zu mehren vermeint; denn «Wissen bläht auf». Wer dagegen zum Gegenstand seines Tuns Tao hat, der entkleidet sich immer mehr alles Weltlichen und Unechten, alles Eigenen und Selbstischen, und das Ende dieser Entkleidung ist Verzicht auf alles eigene Tun, ist Nicht-Tun. Er hat überhaupt ein anderes Ziel als jener. Nicht sein Selbst ist dieses, sondern Tao, und er gewinnt es durch den Verlust seiner Eigenheit. Je mehr er in diesem Streben auf alles eigene Tun verzichtet, desto mehr nimmt er zu im wahren Sein.

Er wird dadurch Tao ähnlich, von welchem im 37. Kapitel dasselbe ausgesagt wurde. Auch er ist ohne Tun und doch nicht untätig, wörtlich: hat nicht tun und doch hat nicht nicht tun, oder: ist Nicht-Tun und doch ist nicht Nicht Tun. Denn wir hörten bereits, wie der heilige Mensch allen Wesen liebevoll hilft und sie versorgt, und heißt es, er sei ein Nicht-Tuender, so bedeutet dies, daß er sich das Tun nicht zueignet, daß er es tut, als täte er es nicht, wie auch gesagt ist, er stütze sich nicht darauf, mache sich nichts daraus. Durch edle Größe und Reinheit seines Wesens wirkt er überwindend und veredelnd auf alle, und ist so tätig ohne Eingreifen in den Lauf der Welt und ohne Tun, durch Nicht-Tun.

Wer das Reich erhält, wird dessen erst wirklich Herr durch Verzicht auf alle Taten und Unternehmungen, welche über das obige «Nichtuntätigsein» hinausgehen. Solange der zum Reich Berufene tätig und handelnd sich hervorzutun strebt, sich geschäftig betätigt, solange steht ihm noch seine Person im Vordergrund, und er hat durch Tao noch nicht der Selbstheit und Eigenheit entsagt, verdient daher nicht (genügt nicht, ist unzulänglich), das Reich zu bekommen. Es wird überhaupt nicht oder doch nicht in Wahrheit sein werden. Dies richtet sich gegen die tatenlustige Großmannssucht und Vielregiererei der Herrscher (ihr Staatsgeschäftemachen). Erst wenn sie diese verlieren, gewinnen sie das Reich.
 
 

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