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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 70





Meine Worte sind
sehr leicht zu verstehen,
sehr leicht zu befolgen,
doch keiner in der Welt
vermag sie zu verstehen,
keiner vermag sie zu befolgen.

Die Worte haben einen Urheber,
die Werke haben einen Gebieter.

Nur weil dieser nicht verstanden wird,
deshalb werde ich nicht verstanden.

Die mich verstehen, sind wenige,
dem gemäß werde ich geschätzt.

Daher:
Der heilige Mensch
kleidet sich in Wolle,
und birgt Jade.
 
 


Das einheitliche und einzige absolute Weltprinzip ist Lao-Tse nicht nur Erkenntnisprinzip, sondern auch Prinzip des sittlichen Lebens, dessen objektive Form «Geistesgefäß») ihm der Staat ist. So wendet er es auch stets auf das praktische Leben an und verlangt darin seine Betätigung.

Wir hören zu Anfang die Klage aller tiefen und weisen Männer und werden an die Worte erinnert: «Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht; der aber von denen, die seine Worte hörten und seine Werke sahen, sprach: Mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht; denn sie verstehen es nicht.» Das Nichtbefolgen kommt vom Nichtverstehen; woher dieses aber kommt, wird nun gesagt. Lao-Tse redet seine Worte nicht aus sich selber, auch sein Tun ist kein eigengewähltes; denn jene haben einen höheren Ursprung, und mit diesem erfüllt er einen höheren Befehl. Dies wird aber beides als von einer Person herkommend ausgedrückt. Daß unter dem Urheber oder Ahnherrn Tao zu verstehen ist, unterliegt keinem Zweifel; und Gebieter oder Fürst nach chinesischer Auslegung als die Tugend aufzufassen, ist irrig, da Lao-Tse die Tugend nirgends als ein zweites Wesen für sich neben Tao, sondern überall nur als Wesenheit bezeichnet. Der Gebieter, dessen Werke er verrichtet, ist daher ebenfalls Tao, um so mehr, als die Werke ja gerade in der Befolgung der Worte bestehen. Und für dieses höchste Prinzip fehlt den Menschen das Verständnis; deshalb können sie auch die von ihm herstammenden und von ihm zeugenden Worte nicht verstehen, seien sie noch so leichtverständlich, und deshalb verstehen sie den nicht, der sie ihnen sagt, und begreifen ebenso wenig seine damit übereinstimmenden Werke.

Wie nun gar wenige sind, die mich verstehen, so gar wenig werde ich auch nur geschätzt. Nie nennt Lao-Tse sich selbst einen heiligen Menschen; dieser ist ihm stets das in der Gegenwart nicht zu findende Ideal. Die Weltmenge ist immer blind und taub für die höchste Wahrheit, daher auch unzugänglich für das Einfachste und Faßlichste, das aus ihr folgt.

Der heilige Mensch zeigt sich daher äußerlich unscheinbar und gering und gibt seinen inneren Reichtum der Welt nicht preis. In einem Land, wo selbst der wohlhabende Bauer in Seide geht, ist Wollzeug etwas sehr Geringes. Jade dagegen wird als kostbarer Edelstein geschätzt. «Er birgt (w.: trägt im Busen, im Herzen) Jade» erinnert an das Wort «Er gibt sein Heiligtum nicht den Hunden preis und wirft seine Perlen nicht vor die Säue».
 
 


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