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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 79



Versöhnt man großen Groll,
so bleibt sicherlich Groll übrig.
Wie kann man das gutmachen?

Daher:
Der heilige Mensch
übernimmt die linke Seite des Vertrags
und treibt nicht von anderen ein.

Wer Tugend hat,
sorgt für die Vertragsverpflichtung,
wer keine Tugend hat,
sorgt für die Forderung.

Des Himmels Tao
hat keine Günstlinge,
immerdar gibt er dem guten Menschen.
 
 


Auch der beste Fürst hat noch Widersacher, und wenn er sie auch durch Milde und Herablassung, durch jene edle Schwäche und Weichheit überwindet (Kap. 78), so daß sie dem Versöhnenden sich versöhnt zeigen, so kann er doch die Wurzel ihrer Feindschaft nicht aus dem Herzen reißen; denn darin haftet diese, daß sie nicht gut sind.

Nur der gute, der heilige Mensch ist imstande, bei einer Aussöhnung alle seine Forderungen, auch die berechtigtsten, fallen zu lassen und dem anderen die seinigen zugestehen. Die Ausleger berichten, in alter Zeit seien die Verträge auf Holztäfelchen eingeritzt worden, dergestalt, daß auf die linke Seite die zugestandene Verpflichtung, auf die rechte die ausbedungene Berechtigung gekommen; dann sei das Täfelchen durchgebrochen und jedem Vertragspartner sein Teil   zur Aufbewahrung gegeben.

Bei Anforderung der Erfüllung sei die Richtigkeit des Kontrakts durch Aneinanderhalten des Bruchs festgestellt worden. Das Verhältnis zu Widersachern, die man vergebens gründlich auszusöhnen sucht, wird mit einem Vertrag verglichen, dessen Verpflichtungen der heilige Mensch allein übernimmt, ohne Forderungen von den anderen einzutreiben, d.h. er verlangt für Leistungen keine Gegenleistung. «Der da Tugend hat», achtet darauf, seine Verpflichtungen zu erfüllen, «sorgt für den Vertrag». Hat man keine Tugend, so hat man den rechten Teil des Vertrags an sich genommen und sorgt nur für die Beitreibung des vertragsmäßig Gebührenden, eigentlich für die Abgabe, die von. den Ackerbauern für bebautes Land eingefordert wurde.

Vom Tao oder von dem Weg des Himmels wird gesagt, er habe nicht Nahverwandte oder Verwandtenliebe, d.h. er bevorzuge niemand, er habe keine Begünstigte, denen er vor anderen seine Gaben zuwende; stets aber gebe er den Guten. Der Gedankengang ist: Da man Feinde nie ganz versöhnt, weil man sie nicht zu guten Menschen machen kann, so kümmert sich der heilige Mensch nicht weiter darum, ob sie ihm seine Gaben und Wohltaten auch von Herzen vergelten. Er betrachtet diese als Verpflichtungen, die er zu erfüllen habe, fordert von den anderen nichts und folgt darin dem Verfahren des Himmels, daß er niemand bevorzugt, gegen gute Menschen aber immer freigebig und wohltätig ist.
 
 



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