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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 14


 
 


Man schaut danach und sieht es nicht,
sein Name ist: Ji (gleich),

Man horcht danach und hört es nicht,
sein Name ist: Hi (wenig),

Man faßt danach und greift es nicht,
sein Name ist: Weh (fein).

Diese Drei können nicht ausgeforscht werden,
darum werden sie verbunden und sind Eins.

Sein Oberes ist nicht klar,
sein Unteres ist nicht dunkel.

Je und je ist es unnennbar
und wendet sich zurück ins Nicht-Wesen.

Das heißt des Gestaltlosen Gestalt,
des Bildlosen Bild.

Das ist ganz unerfaßlich.

Ihm entgegnend, sieht man nicht sein Haupt,
ihm nachfolgend, sieht man nicht seine Rückseite.

Hält man sich an das Tao des Altertums,
um das Sein der Gegenwart zu beherrschen,
so kann man des Altertums Anfänge erkennen:
Das heißt Gewebsfaden des Tao.
 
 



 
 
 
 

Abel Remusat hat das unbestreitbare Verdienst, die Aufmerksamkeit der europäischen Gelehrten zuerst auf Lao-Tses Buch gelenkt zu haben. In seiner 1823 veröffentlichten Schrift über das Leben und Werk des Lao-Tse bemerkt er, daß sich die Transkription des hebräischen Gottesnamens JHWH in dem chinesischen Buch findet. Gegen diese Ansicht erhoben sich seit Stanislas Julien fast sämtliche Sinologen bis auf den heutigen Tag; jedoch «für und gegen» sind noch nicht entschieden. Der unbefangene Leser mag selbst hierüber entscheiden.

Ji bedeutet wörtlich: «gleich, eben, gerade, richtig, groß, ruhig, schlicht, zufrieden, ähnlich, gleichartig, gleichmachen, ordnen, ebnen, ausroden, ausrotten, verletzen, übertreten.»

Grundbedeutung: «gleich, gleichmachen.» Bei Lao-Tse kommt das Wort «ji» noch zweimal vor: Kap. 41, 53, wo es «gerade, eben» heißt.

Hi bedeutet wörtlich: «wenig, selten, leer, sich verkleinern, hoffen, erwarten, anhalten, zerteilen, ausbreiten.»

Grundbedeutung: «wenig.» Bei Lao-Tse kommt das Wort «hi» noch fünfmal vor: Kap. 23, 41, 43, 70, 74. wo es stets «wenig, selten» bedeutet.

Weh bedeutet wörtlich: «fein, zart, verborgen, allein, einzeln, wenig, dunkel, schwach, undeutlich, ausgezeichnet, höchstens, nicht, nichts.»
Grundbedeutung: «fein.» Bei Lao-Tse kommt das Wort «weh» (auch: we, wei umschrieben)
noch dreimal vor: Kap. 15, 36. 64, wo es «fein, verborgen» heißt.

Demnach ergibt eine Übersetzung der drei Wörter keinen Sinn und keinen Zusammenhang mit dem Text; auch die Zusammensetzung der Schriftzeichen enthält nicht den mindesten Hinweis darauf.
 

Wenn es nun bei den chinesischen Kommentatoren, welche diese dunkle Stelle nicht verstanden, heißt: «Ji» besage ohne Farbe (wu sê), «hi» besage ohne Ton (wu schêng), «weh» besage ohne Gestalt (wu hing), so sieht jeder, daß dies keine Wortdefinitionen, keine Erklärungen der Schriftzeichen und namentlich keine Namensbezeichnungen sind, sondern lediglich Erläuterungen und Versuche, mit diesen Wörtern einen Sinn zu verbinden, welcher der jedesmal vorangegangenen Aussage entspricht. Obwohl die drei Wörter nichts mit Farbe, Stimme, Körper und deren Verneinung zu tun haben, erschien dieses Auslegungsverfahren so plausibel, daß sich ihm fast alle europäischen  Sinologen anschlössen; sie übersetzten die drei Wörter geradezu mit farblos, lautlos, gestaltlos (oder: unsichtbar, unhörbar, unfaßbar), womit sie eine an sich überflüssige Sinnerklärung vorangegangener klarer Aussagen als Wortübersetzung von Namen wiedergaben.

Eine derartige Methode ist unzulässig und widerspricht überdies nachweislich dem Sprachgebrauch Lao-Tses. Einmal hat er die drei Schriftzeichen an zehn anderen Stellen (s.o.) stets wort- und sinngemäß in ihrer lexikalischen Bedeutung verwendet, und dann hat er andererseits Wörter, wie körperlos, gestaltlos, bildlos usw., in dem üblichen Stil seiner Zeit (s.o.: wu sê, wu schêng, wu hing) stets ebenso mit einem verneinenden «nicht-habend, ohne» vor dem bestimmten Wort Körper, Gestalt, Bild usw. (wu schên, Kap. 13 | wu tschuang, wu hsiang, Kap. 14 | wu hing, hi schêng, Kap. 41 | wu ming, Kap. 1| wu wei, Kap. 3 | pu yen, Kap. 2 | ...) auch ausgedrückt. Bei dem Reichtum der chinesischen Sprache, geeignete Wörter und Schriftzeichen für derartige einfache Begriffe zu wählen, würde Lao-Tse auch sonst keine so unzutreffenden Bezeichnungen, wie «gleich, wenig, fein», ausgesucht haben, um gegebenenfalls die Ursache des Nichtsehens, Nichthörens, Nichtergreifens anzugeben. Wem sollte es einfallen, ein Wesen deshalb, weil es sich nicht hörbar macht, weil es keinen Ton von sich gibt, «wenig» oder «selten» zu nennen?

Es ist unzweifelhaft, daß Tao («... danach») hier - unausforschlich und unerfaßlich, tief und geheim - genannt werden soll (s.a. Kap. 25). Dort heißt es von dem höchsten Wesen:
 

Ich kenne nicht seinen Namen;
bezeichne ich es, nenne ich es Tao.
Bemüht, ihm einen Namen zu geben,
nenne ich es groß (ta)...


Demzufolge liegt ein Versuch vor, Tao zu benennen, ihm einen Namen beizulegen. Hier dagegen führt Lao-Tse es als eine feststehende Tatsache an: «(sein) Name ist (heißt, sagt)», d. h. er will nicht erst einen Namen geben, sondern mit einem bereits als gegeben betrachteten Namen einen gewissen Sinn verbinden; er will nicht einen ausgesprochenen Gedanken zusammenfassend in dem Namen fixieren, sondern an den Namen einen Gedanken knüpfen. Das bezeugt er selbst in dem folgenden Satz, der zugleich - was das Wichtigste ist - keinen Zweifel läßt, daß die drei Namen zu einem Namen verbunden (zusammengegossen, zusammengeschmolzen) werden sollen. Denn er sagt wörtlich: «Diese drei können nicht durchaus (hindurchgehend, erreichend, bis zum Ende) erforscht (geprüft, analysiert) werden, darum werden sie verbunden (vermischt, vereinigt, kombiniert) und (machen einen) sind einer.»

Dem Charakter der einsilbigen chinesischen Sprache zufolge kann man die Bedeutung eines dreisilbigen Namens nur finden, wenn der Sinn jeder einzelnen Silbe feststeht; diesen festzustellen, ist aber, wie Lao-Tse sagt, unerreichbar, und seine eigenen Auslegungsversuche beweisen dies; darum soll man sich bei den einzelnen Silben nicht aufhalten, sondern sie zu einem (Namen, einer Einheit) verbinden : Ji – hi – weh.

Daß nun dieser dreisilbige Name das höchste Wesen, das unaussprechliche Tao, bezeichnen sollte, ist klar. Eine ebenso unbestreitbare Tatsache ist es, daß er als Bezeichnung eines Objekts dem Chinesischen ganz fremd ist. Wir sind demnach darauf angewiesen, uns für die Herkunft des Namens außerhalb Chinas umzusehen. Da bietet sich aber unter allen Namen des Altertums, die das höchste Wesen bezeichnen, kein anderer, der in den drei verbundenen chinesischen Silben wiederzuentdecken wäre, als der Name JHWH. Tao, das man nicht ausdrücken, nicht nennen kann, ist JiHiWeh, und JiHiWeh ist eins (eine Einheit, ein Name); es entspricht dem hebräischen Wort: JHWH ist eins (JHWH echad).

Was nun die Vokalisation betrifft, so hat die neuere Forschung bekanntlich nur behauptet, daß die alte Aussprache wahrscheinlich Jahweh gewesen. Ebenso bekannt ist es aber auch, daß die Erfindung der hebräischen Punktation eine sehr späte (8. Jh. n. Chr.) ist, daß in vorchristlicher Zeit gewiß noch niemand an sie dachte. Nun denke man sich, ein schreibkundiger Hebräer habe Lao-Tse den Namen überliefert und nach seinen Bestandteilen zergliedert. Konnte er ihm etwas anderes darstellen und bezeichnen als die Mitlauter (Konsonanten)?

Dabei erklärt dann die chinesierende Aussprache im Mund des Chinesen die eventuelle Veränderung der Vokale genügend; wahrscheinlich war sie auch dem Ohr nicht auffallend. Wenn wir das indische Schakia durch Schih-kia (mong. Schiga) u.a.m. derart transkribiert finden, so zeigt sich dabei ebenfalls der Übergang eines «a» in «i», und wir können selbst eine Vokalveränderung von Jahweh in Jihiweh nicht verwunderlich nennen.

Wer wollte überdies bei der Flüssigkeit des vokalischen Elements in den Sprachen dafür einstehen, daß in jenen alten Zeiten der Hebräer sowohl wie der Chinese genau so vokalisiert hätten, wie es später geschah? Jedenfalls haben wir Beispiele von chinesischer Transkription, bei denen ebenso starke, ja ganz dieselben Vokaländerungen vorkommen. Andererseits bei der vielfach sehr genauen chinesischen Transkription von Namen könnte es auch sein, daß der Chinese, entsprechend Ex. 3, 14 Ehejeh, den bewußt (Ex. 3,15) folgenden Namen Jhwh (gemäß jihejeh von hjh) in einer identischen altertümlichen Ausnahmeform von hwh, Jihiweh umschrieb, womit vielleicht die älteste und annähernd richtige Aussprache des Tetragramms wiedergegeben sein dürfte.

Weit wichtiger als die Vokale sind für unsere Frage die Konsonanten. Da jedoch die drei ersten im Hebräischen und im Chinesischen übereinstimmen, so kann es sich noch nur um die Fragen handeln: warum ist das Tetragramm auf ein Trigramm zurückgebracht und warum das wohl zweisilbig klingende Wort zu einem dreisilbigen erweitert? Beides erklärt der Charakter der chinesischen Sprache und Schrift zur Genüge, ja machte es sogar notwendig. Bei der kräftigen Aspirationsweise aller morgenländischen Völker, die man auch bei den alten Hebräern annehmen kann, fielen die beiden «h» sicher deutlich ins Gehör. Das erste bildete mit dem folgenden «w» eine Art Doppelkonsonanten, das zweite den Auslaut. Nun sind aber sowohl Doppelkonsonanten wie konsonantische Auslaute im chinesischen Idiom unzulässig, bzw. sehr beschränkt. Jene müssen in ebenso viele Silben aufgelöst werden, diese werden meist abgeworfen, wie z. B. Christus ki-li-sse-tu gesprochen und geschrieben wird. Darum mußte das erste «h» bei der Transkription seine besondere Silbe erhalten, das zweite aber verschwinden, nicht, ohne daß in dem Doppelvokal der Silbe wêi, weh noch ein Anhauch davon zu spüren ist.

Doch liegt auch Jhw in Verkürzung und namentlich Umlautung vor, ursprünglich aus Jihewe. (Vgl. die weichen Laute jhwh, I. Kön. 19, Zach. 4, 6; 2, 17 und Lao-Tse, Kap. 36, 43, ?6, 78.)

Ist es aber der hebräische Gottesname, so kann Lao-Tse zu dessen Kenntnis nur durch Israeliten gelangt sein. Können aber Israeliten zu Lao-Tses Zeit, laut Einleitung also im 4. Jh. v. Chr., nach China gelangt sein? Das wichtigste Material darüber sind bisher drei jüdische Steininschriften in chinesischer Sprache und Schrift von Khai-Feng aus den Jahren 1489, 1512 und 1663. Diese Inschriften erklären den Ursprung und die Geschichte der Israeliten, ihr Ritual und ihre Religion und erwähnen auch ihr Kommen nach China.

Die erste Inschrift sagt, daß siebzig Familien an den Hof der Sung-Herrscher auf Befehl kamen und Tribut in Form von westlichen Stoffen mit sich führten. Der Kaiser sagte: «Kehrt zurück in mein Reich (Honan), gehorcht und haltet die Gebräuche der Ahnen, bleibt zurück in Phien-liang (Khai-Feng)!» Danach waren die Juden bereits in China ansässig; es dürfte sich hier darum handeln, daß ein Teil auf Anordnung (eines Generals ?) Khai-Feng vor den anstürmenden Kin-Tataren im Jahre 1126 räumte und nach Nan-king  floh, wohin der kaiserliche Hof zunächst seinen Sitz verlegt hatte. Bei der Audienz um Aufenthaltsgenehmigung wurde ihnen obige Anweisung gegeben.

Die zweite Inschrift berichtet: «Danach, diese (jüdische) Religion trat ein und setzte sich fest (wohnte) in China seit der Han-Zeit» (206 v.Chr. bis 221 n. Chr.); demzufolge waren die Juden in China schon in einer Menge und Art ansässig, daß sie die Riten der Religion vorschriftsmäßig ausüben konnten; dies entspricht auch der mündlichen Tradition der chinesischen Juden.

In der dritten Inschrift heißt es: «Die Lehre (der Juden) ging aus von Thien-Tschu (Indien), sie begann in China überliefert (gepredigt, verbreitet) zu werden in der Tschou-Zeit» (1122 bis 255 v. Chr.).

Hier in dieser Inschrift wird klar festgestellt, daß die Juden nach China zum erstenmal während der Tschou-Dynastie gekommen waren. Hauptverfasser der hervorragend korrekten und peinlich genauen Inschrift war der Präsident eines chinesischen Ministeriums, ein Gelehrter, der die zwei vorhergehenden Inschriften sehr wohl studiert hatte.

Somit berichtet die erste Inschrift von einer Audienz bei einem Herrscher der Sung-Dynastie, die zweite von einer Ansiedlung seit der Han-Zeit und die dritte von der erstmaligen Einwanderung in der Tschou-Zeit (1122 - 255 v. Chr.). Eine solche war damals möglich gemacht durch das Ausbreiten des Perserreichs nach Osten und den Aufstieg der Thsin-Herrschaft im Westen Chinas (Thsina!), besonders zur Zeit Alexanders und Seleukos’I., nach Niederlagen der parthischen, indischen und mongolischen Stämme, so daß ausländische Händler von Persien und Indien aus, meist wohl in der Eigenschaft als «Tribut führende Gesandte», die zwischen 325 und 305 v.Chr. zeitweilig geöffneten Handelswege durch Turkestan entlang Kaschgar, Aksu, Kutscha, Turfan oder Yarkand und Tschertschen passieren konnten; auf diesem Weg wurden am Nordufer des Lob-nor-Sees Spuren chinesischer Zivilisation auch aus der Zeit vor der Han-Dynastie von Sven Hedin gefunden.

Gewisse Anzeichen deuten darauf hin, daß Israeliten schon zu dieser Zeit auf diesem Weg nach China kamen.


Dies zusammen läßt annehmen, daß Juden erstmalig nach China gegen Ende der Tschou-Dynastie (4./3. Jh.  v. Chr.) und zu Beginn der Han-Dynastie (3./2.  Jh. v. Chr.) gelangten, also bevor der Name  Jehudi allgemein und bevor das Purimfest gebräuchlich wurde, bevor der Talmud begonnen wurde (2. Jh. v. Chr.) und bevor Jesus erschien, jedoch nach der Zeit Esras, kurz vor und kurz nach Beginn der Seleukiden, solange damals die Handelswege für Fremde passierbar waren. Vor einigen Jahrzehnten fand man bei Ausgrabungen an einigen Stellen Turkestans bekanntlich auf Papier(!) geschriebene hebräische Dokumente und auch persische Geschäftsbriefe in hebräischer Quadratschrift aus dem 8. Jh. n. Chr. sowie in Loyang/Honan drei hebräische Steininschriften im Palmyra-Stil (Bibl. Tadmor), wahrscheinlich aus dem 2. Jh. n. Chr., so daß man derartige Funde aus noch früherer Zeit erwarten darf.

Die in chinesischen Hafenstädten ansässigen Juden der älteren Zeit dürften frühestens mit den Arabern in der Thang-Zeit (618 –906 n. Chr.) auf dem Seeweg um Indien gekommen sein; trotz den kühnen Seefahrten der Phönizier und Malaien ist die Seeverbindung zwischen Ost und West doch vielleicht jünger als der Karawanenweg zu Lande. Aber auch hier ist nicht ausgeschlossen, daß neues Beweismaterial die bisherigen Forschungsergebnisse erweitert.

Müssen wir es also für möglich halten, daß zur Zeit Lao-Tses Israeliten in China gewesen, daß dieselben sich vor allem unter den Schutz des Kaisers begeben, in dessen Erblanden allein damals dauernder Friede war, daß Lao-Tse als alter Mann, wie er vielleicht auf Wunsch des Grenzkommandanten sein Buch verfaßte, mit ihnen in Berührung kam und den Namen, den sie ihrer Gottheit beilegten, erfahren konnte, so wird diese Möglichkeit doch zur größten Wahrscheinlichkeit, wenn wir nun wirklich denselben Namen bei ihm finden.

Und wollte man einwerfen, daß der Name, falls er gemeint sei, doch eigentlich nicht ausgesprochen, daß er nur herangebracht und gleichsam zum Erraten aufgegeben werde, so ist zu erwidern, daß diese Tatsache jene Wahrscheinlichkeit ja nur noch steigert.

Die Scheu der Israeliten, den hochheiligen Namen auszusprechen, setzte erst um 300 v. Chr. ein; doch konnte sich bei dem gesetzbewußten, gottesfürchtigen Israeliten, der, in fremde Länder geraten, aus Furcht vor dem Gebot gegen den Mißbrauch des Namens noch die andere gesellen, daß er vielleicht Anlaß zur Lästerung geben, daß fremdes Volk den hehren Namen aus Mißverstand oder Spott entheiligen könne (3.Mos. 11-16) und dann Schuld auf ihn falle, der ihn den Unreinen mitgeteilt.

Ganz glaublich also, daß er einem Chinesen nur unter Vorbehalt und Warnung mitgeteilt worden, diesen Namen (den man damals jedenfalls noch kannte) zu gebrauchen oder gar öffentlich zu nennen. Dies erklärt dann auch die öfteren Versicherungen Lao-Tses, wie deren eine alsbald folgt: Taos Name könne (oder dürfe) nicht genannt werden; und es erklärt vollständig, weshalb er hier gleichsam die Anleitung gibt, den Namen zu finden, ohne daß er ihn geradezu und offen nennt.

Aber es erklärt noch mehr. Es erklärt, warum die späteren Ausleger von dem Namen nichts wissen, nicht einmal ahnen, daß auf denselben hingewiesen ist. Bei dem zurückgezogenen und schweigsamen Wesen Lao-Tses, der in Wirklichkeit keine unmittelbare Schüler gehabt haben wird, mußte das Geheimnis des Namens wohl Geheimnis bleiben. Ist doch die ganze Stelle, und unverkennbar mit Absicht, so gefaßt, daß der, welcher den Namen kannte, ihn sofort angedeutet fand, der aber, dem er fremd war, genau auf die Wege geraten mußte, auf denen wir die chinesischen Ausleger und alle ihre Nachfolger getroffen. Hier ist der Tao-Philosoph Lieh-Tse aufzuführen, dessen Buch wohl einige Zeit nach Lao-Tses Tod erschien. Er führt im ersten Abschnitt seines Buches die Worte an:
 

Man schaut danach (Tao)
und sieht es nicht,
man horcht danach
und hört es nicht,
man folgt danach
und erlangt es nicht,
darum heißt es Wandel (Ji).
Wandel hat keine Gestaltungsbegrenzung (wu hing lieh),
Wandel wechselt und ist eins...


Weiteres ist dann Zahlenmystik (von l, 7, 9). Dies ist eine interessante und aufschlußreiche Abweichung von Lao-Tses Text, gleichgültig, ob die Stelle nach ihm oder nach älteren (Kap. 6, Komm.) aus dem sogenannten Buch des Huang-Ti zitiert ist. Vornehmlich fehlen ausdrücklich die Worte «(sein) Name» und der Name Jihiweh selbst; dafür ist der Anlaut «Ji» mit dem Schriftzeichen für Wandel vorhanden, wohl nach dem alten Buch der Wandlungen (Ji, Yi King). Damit verstärkt sich unsere Theorie der von Lao-Tse beabsichtigten Namensgebung.

Betrachten wir die Aussagen unseres Textes noch kurz unter Absehen von dem Namen. Daß darin von dem Urgrund, von dem unaussprechlichen und unnennbaren Tao, geredet wird, zeigt das Folgende klar. Nicht aber dessen völlige Unzugänglichkeit und Unerkennbarkeit wird behauptet, sondern nur seine Übersinnlichkeit. Denn daß wir nach ihm (danach) schauen, horchen und fassen können, wird nicht in Abrede gestellt; gesagt wird nur, es wird nicht gesehen, nicht gehört, nicht gegriffen (erlangt); und da die drei letzten Ausdrücke sich hier nur auf sinnliche Tätigkeiten beziehen können, so ergibt sich daraus, daß die drei ersten als übersinnliche, innerliche, zu fassen sind, wie zum Teil auch die Schriftzeichen selbst bezeugen.

Das Subjekt der folgenden Aussprüche ist Tao oder, wie wir nun wohl sagen dürfen, Jihiweh (JHWH, JHW). Ersichtlich wird hier an die schon im ersten Kapitel erwähnte Unterschiedenheit in Tao erinnert, und was dort als der Gegensatz des Unaussprechlichen und des Aussprechlichen, des Unbenannten und des Benamten bezeichnet wurde, heißt hier sein Oberes und sein Unteres. Nur jenem, nicht diesem, wird die Erkennbarkeit abgesprochen, wenn auch nicht durchaus; und dieses ist es mithin, was wir zunächst von ihm geistig erschauen, erhorchen und erfassen können.

Es ist «nicht dunkel»; denn dem, der in der Stille sich darin versenkt, spricht es sich selbst aus, aber als Unteres (Yin), das sein Oberes (Yang) voraussetzt, auf dieses zurückweist und es daher ausweist. Daher wissen wir auch von diesem, aber nur mittelbar; denn an sich selbst ist es uns «nicht klar», es leuchtet nicht in uns herein.

«Das je und je Unnennbare zieht sich zurück ins Nicht-Wesen...» Es ist der reine Urgrund, das Absolute, wozu Lao-Tse sich jetzt erhebt; hier berührt er sich in den Ausdrücken mit Meister Eckhart. Es ist das, was je und je nicht genannt werden kann, vielleicht auch nicht genannt werden darf. Ein Name wäre schon eine Aussage von ihm. Ja, nicht einmal als Wesen mag es bezeichnet werden; denn es kehrt sich zurück ins Nicht-Wesen, ins Wesenlose, d.i. in die bloße Möglichkeit, Wesen zu sein, aus welcher bloßen Möglichkeit es jedoch schon vor Entstehung von Himmel und Erde in ursprünglicher Vollkommenheit als Wesen (Kap. 25) hervortritt, um dann durch Heraussetzung des Weltalls sich als das Seiende zu erweisen (Kap. 32); aber in seinem stillen Grunde ist es über Wesen und ohne Wesen. Eben diese Wesenlosigkeit ist nun seine Gestalt, seine Form; weil aber nur ein Wesen Gestalt haben kann, so ist sie zugleich seine Nicht-Gestalt, die Gestalt des Gestaltlosen. So ist sie auch sein Bild, die Darstellung seiner selbst; wiederum kann aber nur ein Wesen sich darbilden, und das Bild eines Nicht-Wesens kann nur ein Nicht-Bild sein; daher ist seine Wesenlosigkeit auch nur eines Nicht-Bildes Bild. Aber nur was eine Gestalt, eine Form hat, was ein Bild von sich geben kann, ist erkennbar, ist als an sich seiend unterscheidbar. « Unbestimmt - ununterscheidbar », d. h. ganz unerfaßlich ist daher das Gestaltlose und Bildlose, ist daher auch ES als das Wesenlose, als das Absolute, über und vor aller und jeder Bestimmtheit.

Von alters her wird im Chinesischen Anfang und Ende bildlich durch Haupt und Schweif bezeichnet; das letztere ist hier würdiger ausgedrückt (vgl. II. M. 33), und Lao-Tse will damit sagen: „Auch wenn man (natürlich im Denken) seinen Standpunkt gleichsam vor dem Anfang nehmen wollte, so wird man doch diesen Anfang, den Grund und ersten Ausgang von Tao, nicht auffinden können (denn er tritt vor alles Denkbare in die Tiefen der Unendlichkeit zurück); ebenso wird man auch vergeblich suchen, wo sie aufhört (denn auch ihr Ausgang von jenen Tiefen hinaus erstreckt sich in gleiche, von keinem Denken zu verfolgende Tiefen der Unendlichkeit). Weil Tao sich jedoch dem Wesen nach so verhält, so verhält es sich ebenso auch in bezug auf die Weltentwicklung, d. h. auf die Zeit.“

Lao-Tse hatte des Allerhöchsten gedacht, wozu der Menschengeist sich erheben kann, der Anschauung des Absoluten. Von den Uranfängen der Weltentwicklung, der Geschichte bis in die Gegenwart erstrecken sich im Gewebe der Zeiten ewige Längenfäden, welche dieselben sind von Anfang bis zu Ende, auf denen Halt und Bestand des Gewebes beruht, die aber, verdeckt durch den Einschlag des Gewebes (der das Werk menschlicher Freiheit und auch Willkür ist), nur in den Anfängen, wo sie gleichsam noch unverwebt heraushängen, rein zu erkennen sind. Man erkennt sie aber nur, wenn man sich an «das Tao des Altertums hält». Das Altertum besaß hierin die Wahrheit, und an diese muß man sich halten, «um das Sein der Gegenwart - des Jetzt - zu beherrschen». Denn die eigentliche Macht über die gegenwärtigen Dinge ist Tao, wie die Vorzeit es hatte, und in dem Maße, wie man seiner teilhaftig wird, wird man auch jener Macht teilhaftig, welche indessen nicht durch Mittel und Äußerungen der Gewalt, sondern durch deren Gegenteil siegreich ist.

Über die Dinge herrscht nur, was auch in ihnen herrscht; es werde dies erkannt und gewollt oder nicht; in ihnen aber herrscht seine Bestimmung, und wer eins wird mit der Quelle derselben, herrscht auch über sie; sie müssen ihm folgsam sein, ohne daß er gebietet.

Wer dazu am Tao der Alten hält, der erkennt die Uranfänge, aus und an denen sich die Dinge entwickelt haben und in denen die Fäden bloßliegen, woran das Weltgewebe hängt und sich fortsetzt.
 
 

 

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