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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 2 - Kapitel 63




Das Tun sei Nicht-Tun,
Das Geschäft. sei Nicht-Geschäft,
Der Genuß sei Nicht-Genuß,
Das Große sei Kleines,
Das Viele sei Weniges.

Vergeltet Feindschaft mit Wohltun.

Plant das Schwere in seinem Leichtsein,
Tut das Große in seinem Kleinsein.

Die schwierigen Geschäfte der Welt
beginnen ja mit Leichtsein,

Die großen Geschäfte der Welt
beginnen ja mit Kleinsein.

Daher:
Der heilige Mensch tut nie das Große,
darum kann er sein Großes vollenden.

Wer leichthin verspricht, hält sicher selten.
Wem vieles leicht ist,
wird sicher vieles schwer.

Daher:
Der heilige Mensch behandelt es als schwer,
darum wird ihm lebenslang nichts schwer.
 
 
 



 

Der Anfang kann auch übersetzt werden:
 

Tut das Nicht-Tun,
seid geschäftig (dient) in Nichtgeschäftigkeit,
schmeckt das Nichtschmackhafte,
macht groß das Kleine,
macht viel das Wenige;
vergeltet Haß mit Tugend.


Wenn Lao-Tse sagt, das Tun soll Nicht-Tun, soll kein Tun sein, so versteht sich von selbst, daß er einen Unterschied macht zwischen Tun und Tun, daß er will, das Tun der einen Art soll nichts vom Tun der anderen Art an sich haben. Wir sahen schon, daß er auf alles selbstlose, zum Heil und Wohl anderer gereichende Tun dringt und jedes aus selbstischen Gründen geschehende Tun verwirft. Jenes Tun soll mithin das Nicht-Tun dieses Tuns sein. «Geschäft» unterscheidet sich dadurch von Tun, daß es einmal ein Wichtigtun (Geschäftigkeit) und dann ein notwendiges, pflichtgemäßes Verrichten (zumeist von Staatsgeschäften) ist, weshalb es als Zeitwort «dienen» heißt.

Demnach seid geschäftig in Nichtgeschäftigkeit und Nichtverrichten von Staatsgeschäftelei; das, was geschehen muß, soll auch verrichtet werden, als sei es kein Muß sondern ein Freiwilliges; denn dein Geschäft sei Nichtgeschäft. Alles dies steckt in dem einen Wort; es ist daher eine Erweiterung des ersten Gedankens. Beides, Nicht-Tun und Nicht-Geschäft üben, besagt vornehmlich Enthaltung von Einmischung in den natürlichen Verlauf der Dinge. Der Geschmack, das Schmecken, ist im umfassenden Sinn auch der Genuß. Nach dem Vorangegangenen kann dieser Ausspruch ebenfalls nur zwischen einem Genießen unvermeidlicher oder unschuldiger Art und einem verwerflichen, weil selbstischen, unterscheiden und die Forderung stellen, jenes solle nicht dieses oder ohne dieses sein. Denn jede Befriedigung eines Bedürfnisses, z.B. des Hungers, ist mit einem Genuß verbunden und dieser insofern vorwurfsfrei; verwerflich wird er aber, wenn das Genießen Zweck und Hauptsache, also z.B. das Essen nicht mehr Befriedigung eines Naturbedürfnisses, sondern sinnlicher Lüsternheit ist. Das «nicht-hat Geschmack», das Nichtschmackhafte (wû wéi) auf Tao zu beziehen: ist hier trotz Kap. 35 und Lautähnlichkeit mit Nicht-Tun (wû wêi) nach dem Zusammenhang vielleicht nicht angebracht.

Um es zu dem Großen und Vielen zu bringen, mit dem der höhere Mensch sich vollendet, darf er es nicht als Großes und Vieles wollen; sein Großes, darf ihm nicht groß (mithin nur klein), sein Vieles nicht viel (mithin nur wenig) sein. Aber er sieht das Große im Kleinen (vgl. Kap. 52) und macht groß das Kleine, er sieht das Viele im Wenigen und macht viel das Wenige.

«Vergeltet Haß mit Tugend!» Verfährt der Mensch, zumal "der Herrscher, in so ungewöhnlicher Weise, so wird er zunächst den Nichtguten ein schweigender Vorwurf sein, kann daher dem Widerstand, ja der Feindschaft der Welt nicht entgehen, die alles andere eher erträgt und verzeiht als reine, selbstlose Tugend. Dieser Feindschaft soll er mit nichts begegnen als mit eben dieser, nur in Wohltaten gegen die Feinde sich ergießenden Tugend (Kap. 49). Wir brauchen nicht zu erinnern, daß dies wörtlich die evangelische Forderung ist: «Tut wohl denen, die euch hassen.» Das Große und Schwere liegt in der Besiegung des selbstischen Triebs; ist dieser überwunden, so sind jene sittlichen Forderungen klein und leicht. Ebenso wird auch diese Überwindung ein Kleines und Leichtes, wenn man das Schwere unternimmt, wo und wenn es noch leicht ist, und wenn man das Große tut, wo und wenn es noch klein ist (Kap. 64). Denn alles Schwere in der Welt ist im ersten Entstehen nur ein Leichtes, alles Große im ersten Werden nur ein Kleines.

Das Große, das der heilige Mensch niemals tut, wird hier seinem Großen, das nur er vollbringt, entgegengesetzt. Das Erstere muß also das sein, was nicht Sache des Heiligen ist, was nur vor der Welt als groß gilt. Das Letztere, das im Stillen und Kleinen allmählich geschieht und zur Größe heranwächst, ist nicht, was der Menge als groß erscheint; dies tut nur das Mächtige, Gewaltsame in schneller Vollziehung. Nur weil der Heilige auf dieses Große verzichtet, kann er sein Großes vollenden. Je unscheinbarer das Wirken des heiligen Menschen ist, da er sich nur mit Kleinem und Leichtem zu befassen scheint, desto eher könnte er dies nun auch leicht behandeln. Daß ihm solches nicht gelingen würde, lehrt die Erfahrung an denen, die jedermann mit Versprechungen entgegenkommen und sie dann selten halten, weil sie zuviel für leicht erachten, was ihnen denn doch zu schwer zur Ausführung ist; sie sind auch wenig glaubwürdig.

Deshalb verfährt der heilige Mensch umgekehrt. Seine Aufgabe hat er bei allen Dingen zu erfüllen, und sie ist immer ein Großes und Schweres. Im Hinblick auf sie behandelt er daher alles wie ein Schweres. Da er es aber tut, während es an sich noch leicht ist, so wird ihm eben darum lebenslang nichts schwer.
 
 

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